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200 Jahre Fahrrad: Radinfrastruktur hängt in Deutschland hinterher
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Mittwoch, 16. November 2016

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Das Fahrrad ist ein Verkehrsmittel – dessen Potenzial allerdings auch 200 Jahre nach seiner Erfindung noch längst nicht ausgeschöpft ist. Ansätze und Ideen, wie man mehr Menschen in Deutschland auf das Fahrrad bringen könnte, gibt es viele. Doch politische Entscheider scheinen das Thema zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Es braucht deshalb mehr Druck aus der Bevölkerung, wie der pressedienst-fahrrad aufzeigt.

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[pd‑f/tg] Don Quijote würde sich im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) sicher wohl fühlen. Täglich ziehen die Verbandsmitglieder deutschlandweit in Kämpfe gegen die sprichwörtlichen Windmühlen. Ihre Rösser: das Fahrrad. Ihr Ansinnen: eine lebenswertere Umwelt. Aber auf Bundes‑, Landes- und Kommunalebene stoßen die Ideen und Maßnahmen zu oft auf taube Ohren. Dabei rückt das Fahrrad gerade jetzt in den öffentlichen Fokus: 2017 steht das große 200-jährige Jubiläum an. Dazu wurde in einem ersten Akt am 10. November 2016 im Technoseum in Mannheim eine Sonderausstellung über die Geschichte des zweirädrigen Vehikels eröffnet.

Mannheim noch nicht fahrradtauglich

Im Sommer 1817 fuhr Karl Freiherr von Drais in der Stadt am Rhein die erste Strecke mit seiner Laufmaschine, dem Vorgänger des heutigen Fahrrads. Anerkennung war dem Erfinder allerdings nicht vergönnt. Sein Gefährt wurde von Anfang an von der Obrigkeit torpediert und der Nutzen in Frage gestellt. Radelt man 200 Jahre später durch Mannheim, überkommt einen immer noch das Gefühl, dass das Fahrrad hier nicht angekommen ist. Allein eine Fahrt vom Bahnhof zur Ausstellung gleicht einem Spießrutenlauf durch den städtischen Verkehr. Das Fahrrad als Lösung der innerstädtischen Verkehrsprobleme? Hier noch eine Illusion.

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Mannheim ist dabei kein Einzelfall. In vielen deutschen Städten hinkt die Entwicklung der Fahrradinfrastruktur hinterher. Nach Angaben von Dr. Bastian Chlond, Leiter des Instituts für Verkehrstechnik in Karlsruhe, werden mittlerweile deutschlandweit über ein Drittel aller Alltagswege mit dem Fahrrad zurückgelegt. Eine positive Entwicklung, die jedoch zu einem Problem führt: Wird die Infrastruktur in den Städten nicht an die wachsende Zahl der Radfahrer angepasst, verliert das Radfahren schnell an Unterstützern.

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Auf Worte auch Taten folgen lassen

„Wir haben nicht die Zeit wie beim Bau des BER oder der Elbphilharmonie. Wo ist der Minister, der jetzt den Mut hat und mehr für den Radverkehr tut?“, fragt deshalb Ludger Koopmann, stellvertretender Vorsitzender des ADFC, auf einem Symposium seines Verbandes zur Eröffnung der Jubiläumsausstellung. Wütend schiebt er hinterher: „Wir sind es leid, nur leere Worte zu hören. Wir wollen jetzt Taten sehen!“ Der Frust bei Koopmann ist begründet. Beim Symposium, das unter dem Titel „Fahrradland Deutschland. Jetzt!“ lief, glänzten die politischen Entscheider aus der Bundes- und Landespolitik mit Abwesenheit.

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Diese Situation ist nicht neu, wie Rolf Kathrein-Lehmann vom Taschenspezialisten Ortlieb im Gespräch mit dem pressedienst-fahrrad bestätigt. Er engagiert sich seit vielen Jahren in der Fahrradbranche. Immer wieder muss er feststellen: Die wichtigen Entscheider bleiben diesen Veranstaltungen fern. „Aber wir brauchen die Politiker und Stadtplaner, die den Mobilitätswandel wollen“, so der Produktmanager. Städte können durch geschicktes Networking aber selbst aktiv werden und mehr tun. Inspiration dazu gibt es beispielsweise aus dem benachbarten Ausland.

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Wie wollen wir künftig leben?

Die Niederlande haben sich in den letzten Jahrzehnten auf Druck der städtischen Bevölkerung zu einer Fahrradnation entwickelt. „Die Leute wurden nicht gefragt: ‚Welches Verkehrsmittel benutzt ihr?‘, sondern: ‚Wie wollt ihr in eurer Stadt leben?’“, erklärt Saskia Kluit, Geschäftsführerin des niederländischen Fahrradverbandes Fietsersbond, den Wandlungsprozess. Das Ergebnis sind grüne, urbane Räume, in denen der Radverkehr klar Vorrang genießt. „Der Radverkehr braucht Platz, damit sich Menschen wohlfühlen. Das funktioniert, wenn die Bevölkerung die Wandlung unterstützt und will“, so Kluit.

Ein Lastenrad mit einem Faltrad auf der Ladefläche, abgestellt am Rande einer großen Stellfläche für Fahrräder.Hochwertige Abstellanlagen errichten

In Utrecht beispielsweise haben neue Abstellanlagen an öffentlichen Plätzen für ein aufgeräumtes Stadtbild gesorgt. Wer sein Rad schnell und sicher verwahren kann, der legt auch gerne Alltagswege regelmäßig damit zurück. Die Nachfrage nach hochwertigen Abstellanlagen hat laut Andreas Hombach vom Stadtmöblierer WSM seit 2005 in Deutschland zugenommen. Speziell die Arbeit des ADFC und kommunaler Förderkreise sieht er als einen Grund dafür. „Eine spürbare Steigerung im Modal Split, also der Verkehrsmittelwahl, wird das Fahrrad aber nur dann erreichen, wenn die Infrastruktur stimmt – hier gibt es sicherlich noch einiges zu tun, wobei auch schon vieles erreicht wurde“, meint Hombach.

Vorschlag: S‑Pedelecs auf Radwege

Für Markus Riese vom Darmstädter E‑Bike-Hersteller Riese & Müller ist eine zukünftig stärkere Nutzung von S‑Pedelecs eine Möglichkeit, den Radverkehr zu steigern. Die schnellen Elektroräder unterstützen bis 45 km/h und sind deshalb gerade für Pendler mit Strecken von fünf bis 30 Kilometer eine echte Alternative zum Auto. „Studien zeigen: Je mehr Fahrräder unterwegs sind, umso sicherer und angenehmer wird das Fahrradfahren. Mit S‑Pedelecs kann sich so viel Autoverkehr auf das Zweirad verlagern, dass ein wahrer Schneeballeffekt ausgelöst wird“, sagt Riese. Sicherere Straßenverhältnisse, infrastrukturelle Maßnahmen und mehr Fahrradfahrer wären die Folge.

Grundvoraussetzung hierfür ist laut Riese eine billige und leicht umzusetzende Maßnahme: Radwege müssen auch innerorts für S‑Pedelecs freigegeben werden. Das momentane Benutzungsverbot erweist sich in der Praxis als ein großer Nachteil, weil Pendler lieber das Zweitauto behalten, als sich ein S-Pedelec zu kaufen. Rieses Vorschlag geht jedoch noch weiter: „Selbstverständlich muss sich das S‑Pedelec von der Geschwindigkeit an den Radverkehr anpassen.“ Denkbar wären aus seiner Sicht Geschwindigkeitslimits und eine Harmonisierung der innerstädtischen Regelgeschwindigkeit – wodurch ein sicheres und stressfreies Mitschwimmen der Elektroräder im Verkehr erreicht würde. „Mit den modernen E‑Bikes haben wir die Chance, den innerstädtischen Verkehr zu revolutionieren, um die Lebensqualität im urbanen Umfeld massiv zu steigern. Politisch braucht es hierzu vor allem den Willen“, so Riese.

Gesundes Miteinander fördern

Verteilungskämpfe um staatliche Fördergelder mit anderen Verkehrsverbänden sind jedoch der falsche Weg. Ein gesundes Miteinander stehe vielmehr im Vordergrund, wie Ulrich Syberg, Bundesvorsitzender des ADFC, bekräftigt: „Ein einzelnes Transportmittel kann die vielen Bedürfnisse einer heutigen Großstadt nicht mehr decken.“ Eine lebenswerte Umwelt wird durch einen Ein Junge überquert auf einem Fahrrad eine Kreuzung.gesunden Mix erreicht. „Unser Ziel muss es sein, dass sich auch Frauen und Kinder auf dem Rad im Straßenverkehr wohlfühlen“, so Syberg. Bislang brauche es eine gewisse Ellbogenmentalität, um sich mit dem Fahrrad im Straßenverkehr den nötigen Platz und Respekt zu verschaffen. In dieser Rolle fühlen sich zumeist eher junge Männer wohl – die allerdings keineswegs als prototypische Radfahrer verstanden werden dürfen.

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