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Typenkunde – Mountainbike
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Mountainbikes: Vom Alleskönner zum Spezialisten

Das Mountainbike hat in seiner bald 50-jährigen Geschichte fast jeder Fahrradgattung Impulse gegeben und der Branche einen riesigen Aufschwung beschert. Es wird als Technikwunder bestaunt und als Alleskönner geliebt, dabei aber nicht immer seiner wahren Bestimmung zugeführt – viele Mountainbikes sind in unterschiedlichen Umbaustufen als Stadträder unterwegs.
Immerhin ist das Grundprinzip leicht zu definieren: Ein Mountainbike verfügt über breite, grobstollige Bereifung, ist üblicherweise mit einer Federgabel ausgestattet oder gar vollgefedert und von robuster Machart. Aufgabe der Federung ist weniger der Komfort als vielmehr, auch in anspruchsvollen Geländepassagen stets für Traktion zu sorgen. Als Rahmenmaterial sind Aluminium und Carbon am häufigsten anzutreffen, aber auch Stahl und Titan haben nach wie vor ihre Fans. Jedes Material hat dabei seine spezifischen Vor- und Nachteile.
Diese Typenkunde umreißt die wichtigsten MTB-Sportarten und technischen Unterschiede der Maschinen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Technik.

Schaltung

Wurden Mountainbikes in früherer Zeit gern über die Anzahl der Gänge definiert, ist heute weniger oft mehr. Die bis in die späten Neunzigerjahre gängige Kombination von drei Kettenblättern an der Kurbel mit bis zu neun Ritzeln am Heck ist immer häufiger Zehn‑, Elf- und mittlerweile Zwölffach-Antrieben mit meist einem oder seltener zwei Kettenblättern an der Kurbel gewichen, was das Schalten einfacher und intuitiver macht. Entgegen dem ersten Eindruck bieten die Kassetten der sogenannten Einfachantriebe sogar eine größere Übersetzungsbandbreite als frühere Dreifachkurbeln; zudem schaltet man linear mit nur einem Schalthebel. Die aktuelle Generation mit zwölf Ritzeln bietet bei zehn bis 52 Zähnen 520 Prozent Entfaltung. Immer öfter werden die Schaltbefehle dabei elektronisch, per Kabel oder Funk, übertragen. Alternative Schaltungskonzepte sind seit jeher Gegenstand von Weiterentwicklung, aktuell haben wartungsarme Zentralgetriebe einigen Rückenwind.

Bremsen und Reifen

Verzögert wird am zeitgemäßen Mountainbike ausschließlich mit Scheibenbremsen, in den meisten Fällen hydraulisch, selten auch mechanisch. V‑Brakes und hydraulische Felgenbremsen wurden von der standfesteren und deutlich witterungsunabhängigeren Scheibenbremse am MTB fast restlos verdrängt. Die Breite der Lenker wuchs in den letzten 20 Jahren um bis zu 25 Zentimeter, sie liegt heute meist zwischen 72 und 76, bei Bikes fürs ganz grobe Gelände sogar bei 80 Zentimetern. Im Gegenzug wurden die Lenkervorbauten immer kürzer – von einst bis zu 150 zu heute nicht selten 35 Millimetern. Licht, Schutzbleche und Gepäckträger fehlen. In den vergangenen Jahren viel diskutiert, haben sich die Laufradgrößen 27,5 und 29 Zoll durchgesetzt. Oft werden kleinere Rahmengrößen mit kleineren Rädern ausgestattet. Die Mischung von kleinerem 27,5‑Zoll-Hinterrad und 29-Zoll-Vorderrad findet sich oft Downhill-Sport und wird „Mullet“ genannt. Im Vergleich zu den früher üblichen 26-Zöllern bieten größere Räder ein besseres Überrollverhalten und mehr Traktion. Laufräder mit 26 Zoll Felgendurchmesser finden sich heute vor allem an Jugend- und Einsteigerrädern und Dirtbikes.
Weiterer Gegenstand jüngerer Entwicklung von MTB-Komponenten sind vor allem die Reifen in sogenannten Plus-Größen. Sie bieten durch ihre größere Breite „ein Plus an Traktion, Komfort und Sicherheit und können darum für viele Mountainbiker interessant sein“, wie Doris Klytta vom Reifenspezialisten Schwalbe hervorhebt. Plus-Bereifung in den Laufraddurchmesser 27,5 und 29 Zoll bei Reifenbreiten von 2,6, 2,8 und 3 Zoll, hat einen festen Platz eingenommen, nicht zuletzt an E‑Mountainbikes und Bikepacking-Rädern.
Die Rahmen-Geometrien von Mountainbikes haben sich in den letzten zehn Jahren auch stark verändert. „Der Radstand der Bikes ist signifikant gewachsen – und die Lenkwinkel sind deutlich flacher geworden“, erklärt Philipp Martin vom baskischen Hersteller Orbea. Zum anderen werden MTBs mit Elektrounterstützung immer beliebter – die Verkaufszahlen von E‑Mountainbikes liegen mittlerweile deutlich höher als die der Bikes ohne Motor. Die wachsende Bedeutung dieser Gattung sorgt anhaltend für hitzige Diskussionen in der Szene.
Abseits davon hat sich ein breites Feld unterschiedlicher Bikes etabliert. „In den vergangenen 20 Jahren hat sich eine Vielzahl von Unterkategorien gebildet, die auf den Einsatz bei ganz bestimmten sportlichen Disziplinen abgestimmt sind“, bemerkt Matthias Rückerl, Brandmanager beim Schweinfurter Hersteller Haibike. Hier eine kleine Übersicht über die meistverbreiteten Spielarten des Geländefahrrads.

1. Einsteiger-MTB

In der Basiskategorie der Gattung finden sich einfache bis mittelklassige, meist nur an der Gabel gefederte Modelle („Hardtail“), die im Fachhandel ab etwa 600 Euro angeboten werden. Die Sitzposition ist eher aufrecht, die Rahmengeometrie auf guten Geradeauslauf und leichte Beherrschbarkeit ausgelegt. Der Federweg der Gabel beträgt in der Regel um 100 Millimeter. Gute Einsteigermodelle wiegen um die 14 Kilogramm und verfügen bereits über eine einstellbare Federgabel sowie hydraulische Scheibenbremsen. Vollgefederte Exemplare sind in dieser Kategorie jeweils mindestens ein Drittel teurer. Die günstigen Varianten haben simple Federungskonzepte, die mitunter deutliche funktionelle Nachteile aufweisen. Ein Gewicht von über 15 Kilogramm ist dabei keine Seltenheit.

2. Cross-Country, Marathon, Bikepacking

Hier finden sich Bikes für anspruchsvollere Sportler oder den Renneinsatz. MTBs dieser Klasse sind durchweg besser ausgestattet, leichter und teurer. Das ist verständlich, umfasst ihr Einsatzzweck doch alles vom Gelände-Radrennen bis hin zur Alpenüberquerung. Cross-Country-Fahrer:innen bevorzugen eine sportlich-gestreckte Haltung auf dem Rad und sind gern auf leichten Hardtails unterwegs (z. T. deutlich unter zehn Kilogramm), die auf hochwertigen Aluminium- oder Carbonrahmen mit agiler Geometrie basieren. Der Gabelfederweg beträgt 80 bis 120 Millimeter. In diesem Segment haben sich die 29-Zoll-Laufräder voll etabliert.
Die Langstrecken-Athlet:innen der Disziplin Marathon dagegen schätzen den Komfort der Vollfederung („Fully“). Hier sind 90 bis 120 Millimeter Federweg an Front und Heck die Regel; durchdachte Hinterbausysteme unterbinden unerwünschte Einflüsse des Antriebs auf die Federung. Egal, ob Hardtail oder Fully: Olympia-taugliche Geschosse mit geringstmöglichem Gewicht und optimierter Ausstattung reichen – ähnlich wie im Rennradbereich – nahe an fünfstellige Preise heran, sind dafür aber auch Kleinodien ausgeklügelter Ingenieurskunst.
Ein Sonderfall der Gattung Cross-Country ist die ständig wachsende Zahl an sogenannten Self-Support-Formaten. Ausgehend von den Vereinigten Staaten, hat sich auch in Europa eine immer noch wachsende Szene von Abenteuerradler:innen gefunden, die lange Strecken im Gelände ohne äußere Unterstützung zurücklegen – sei es in mehrtägigen Rennformaten oder während kleinerer oder großer Abenteuer beim Bikepacking. Die Anforderungen an das Rad sind dabei: Es muss Platz genug für das Gepäck bieten, das in speziellen Taschen im Rahmen, am Lenker und an der Sattelstütze verstaut wird. Zudem muss es absolut zuverlässig unter Schwerstbedingungen funktionieren – oder reparierbar sein. Self-Supporter setzen deshalb oft auf ungefederte Mountainbikes und nicht selten auf wartungsarme Naben- oder Zentralgetriebe mit Zahnriemenantrieb als Alternative zur klassischen Kettenschaltung.

3. All Mountain, Enduro

Einfach ausgedrückt, ist ein All-Mountain-Bike der Alleskönner unter den MTBs: tourentauglich, mit aufrechterer Sitzposition, vollgefedert und dabei mit größeren Reserven in Sachen Federweg (130 bis 150 Millimeter) als Marathon-Bikes. Effizient genug für die Hausrunde und potent genug für den gelegentlichen Ausflug in die Alpen – so lässt sich das Anforderungsprofil für ein modernes All-Mountain-Bike beschreiben. Nicht mehr wegzudenken aus dieser Radkategorie sind inzwischen während der Fahrt höhenverstellbare Sattelstützen: Mit ihrer Hilfe lässt sich der Sattel für technisch anspruchsvolle Passagen versenken – so bietet das Bike deutlich mehr Bewegungsfreiheit. Zum Pedalieren lässt sich die Stütze genauso schnell wieder auf die hohe Position ausfahren. Das geht per Daumenschalter, ohne also eine Hand vom Lenker zu nehmen.

Fullys der Gattung Enduro verbinden den Vielseitigkeitsgedanken des All-Mountain-Bikes mit den Anforderungen einer jüngeren, hochdynamischen Renndisziplin, dem Enduro-Rennen. Hier werden auf meist natürlichen, allerdings fahrtechnisch extrem anspruchsvollen Strecken einzelne Wertungsprüfungen gegen die Uhr gefahren, um anschließend auf ungezeiteten Überführungsetappen in Richtung der nächsten Wertungsprüfung zu pedalieren. Solche Veranstaltungen erstrecken sich oft über das gesamte Wochenende und verlangen den Teilnehmenden ganze Tage im Sattel ab. Noch wichtiger als beim All-Mountain werden folglich die Robustheit der Fahrräder und ihrer Komponenten sowie die Fähigkeit, auch ruppigste Abwärts-Passagen gleichzeitig sicher und schnell zu bewältigen. Die Federwege liegen gemeinhin bei 160 oder 170 Millimetern. Vereinzelt werden auch smarte Federungssystem verwendet, deren Komponenten miteinander kommunizieren und sich automatisch auf wechselndes Terrain anpassen.
Während die Kettenschlatung am MTB vorherrscht, entwicklen immer mehr Hersteller auch vollgefederte Bikes für das zentrale Rahmengetriebe von Pinion. Ihr größter Vorteil liegt in der Reduktion der ungefederten Masse, wodurch Handling und Funktion gewinnen. Die Kombination Zentralgetriebe, Riemenantrieb und Vollfederung macht die Räder wartungsarm, gewichtsbalanciert und leise.

4. Freeride, Downhill

Rasante Abfahrten und spektakuläre Sprünge zeichnen die Disziplinen Freeride und Downhill gleichermaßen aus. Als Wettkampfdisziplin Downhill im Kampf um Tausendstelsekunden, beim Freeriden als ständige Suche nach dem fahrerisch Möglichen. Gefahren wird bei dieser Spielart des Mountainbikens nur bergab. Bergauf geht es entweder mit dem Lift oder per Shuttle-Fahrzeug. Das Material dafür: superstabile, vollgefederte Bikes mit langen Federwegen um 200 Millimeter. Die Einfach-Schaltungen der Räder bieten kein großes Gangspektrum, die Kette wird häufig über „High-Pivot“-Röllchen umgelenkt, damit die Federung möglichst antriebsneutral funktionieren kann. An diesen Rädern finden sich die Bremsen mit der meisten Bremskraft und den größten Scheiben.

5. Dirtbikes/Dualbikes

Technisch eng miteinander verwandt sind diese beiden Spielarten des Mountainbikes, dabei sind ihre Einsatzzwecke recht unterschiedlich. Dirtbikes werden vorwiegend für kunstvolle Sprünge über künstlich geschaffene Hügel verwendet – ähnlich wie die kleineren BMX-Bikes. Eine Besonderheit ist die Disziplin Pumptrack, bei der kleine, wellige Rundkurse möglichst ohne Treten absolviert werden („pumpen“).
Dualbikes indes setzt man für Wettbewerbe ein, bei denen auf einer abschüssigen, mit Sprüngen und Steilkurven versehenen Strecke entweder zwei (Dual Slalom), vier (Fourcross/4X) oder acht Starter (Biker Cross) gegeneinander antreten – ähnlich wie beim BMX. Typische Merkmale: kleiner, kompakter Hardtail- oder Fully-Rahmen mit geringem Federweg um 100 Millimeter, sehr robuste Bauweise, oft ohne Schaltung und nur mit Hinterradbremse.

Weitere Arten und Einflüsse

Vom Mountainbike kommend, hat sich das Fatbike mittlerweile als eigene Nische etabliert. Teils mit MTB-Technik ausgestattet sind auch Trekking- und Reiseräder sowie Gravelbikes, die die Brücke zwischen MTB und Rennrad schlagen. Für diese Arten haben wir eigene Typenkunden angelegt.

Elektrifizierung

E‑Mountainbikes haben Stand 2024 die unmotorisierten Geländeräder weit überholt – zumindest was die Verkaufszahlen betrifft. Mit Ausnahme der Dirt- und Dualbikes werden mittlerweile alle hier genannten Spielarten des Mountainbikes auch elektrisch angeboten. Die Beschreibungen der einzelnen Mountainbike-Gattungen sind dabei direkt auf die motorisierten Geschwister übertragbar. Eine nennenswerte Gattung ist in diesem Zusammenhang das SUV-E‑Bike (auch Crossover-E-Bike), für das ein (vollgefedertes) E‑MTB mit Schutzblechen, Beleuchtung und Gepäckträger touren- und alltagstauglich ausgestattet wird, ohne dabei nennenswert Geländegängigkeit einzubüßen. Mehr Hintergrundwissen über die Funktionsweise von E-(Mountain)-Bikes bietet unsere Typenkunde E‑Bike.

Sie wollen das Thema vertiefen? Detaillierte Informationen und aktuelle Artikel finden Sie in unserem Themenblatt Mountainbike.

H. David Koßmann | pressedienst-fahrrad


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