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Bar´n´Bike in Berlin
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Mittwoch, 20. Juni 2007

*** Bitte beachten Sie: Dieser Artikel ist zwei Jahre alt oder älter. Wir haben ihn nicht gelöscht, weil Inhalte wie Tipps, Hintergründe und Technisches noch immer gültig sind. Ansprechpartner, Produkte und Preise können sich aber zwischenzeitlich geändert haben. Für ein Update rufen Sie uns bitte an! ***

Mit dem Rad in der Stadt. Das funktioniert nicht nur auf dem Weg zur Arbeit, sondern auch im Urlaub. Der pressedienst-fahrrad hat es ausprobiert: Mit dem Rad auf Sight-Seeing-Tour durch Berlin

[pd‑f] „Für Touristen wird es immer reizvoller, bei ihrer Sightseeing-Tour in die Pedale zu treten“, sagt Christian Tänzler von der Berlin Tourismus Marketing GmbH, der das Fahrrad als ideale Möglichkeit sieht, die Stadt zu erkunden. Kein Wunder: Rund 1.200 Kilometer lang ist das Berliner Radwegnetz. Und es wächst: Touristen dürfen sich auf 20 ausgewiesenen Sightseeing-Routen abseits des Straßenverkehrs oder auf wenig von Autos befahrenen Nebenstraßen freuen, die in Planung sind.

Vital bis in die letzte Ecke

Wer sich im Dschungel der Großstadt wohl fühlt, der kann sich auch in Berlin einfach treiben lassen. Idealer Ausgangspunkt ist das Viertel Prenzlauer Berg. Unser Hotel „Myer´s Hotel“ liegt mitten drin (Metzer Str. 26, www.myershotel.de), ist liebevoll eingerichtet und versprüht jenen Charme, den nur inhabergeführte Hotels haben. Nach einem herrlichen Milchkaffee starten wir zur ersten Tour in Deutschlands größer Metropole: Einfach aufs Rad gestiegen und nach Lust und Laune mal rechts mal links abbiegen. Mal sind die Straßen breit, der Verkehr hektisch; mal sind die Straßen eng, Kopfstein gepflastert und wirken fast dörflich. Allen gemeinsam ist die enorme Vitalität des Kleingewerbes: Modelabels sprießen in Berlin wie Gräser in der Wüste nach einem Platzregen. Kaum ein Ladenlokal steht leer. Jede erdenkliche Subkultur findet hier in einem Geschäft ihre Entsprechung. Gut wer ein sicheres und schnell zu bedienendes Schloss bei sich hat, denn die Läden laden zum Stöbern ein. Der Umgangston ist locker, man duzt sich und nur nicht selten kann man falschen wie auf dem Basar. Das Leben pulsiert, auch an einem regnerischen Sommertag wie wir ihn heute haben. Wir radel-shoppen den ganzen Nachmittag. Pitschnass fallen wir ins Café „Kauf Dich Glücklich“ ein. Ein trockener Ort tut Not. Verrückte Welt: Aufwärmpause mitten im Juni. Während wir Kaffee trinken und plaudern, schauen wir uns um. Die Einrichtung, 1970er Jahre Wohnzimmerausstattung, ist nicht nur schick und gemütlich, sie kann auch gekauft werden. Irritiert reagiert das an Franchise geschulte Auge auf soviel Individualität beim Personal und Kunden gleichermaßen. Eine wunderbar skurrile Szenerie.

Radeln mit den Profis

Auch die Tourismusbranche in Berlin entdeckt das Fahrrad. „Das ist ein neues Segment“, sagt Martin „Wollo“ Wollenberg vom Marktführer Berlinonbike. Das vor sieben Jahren gegründete Unternehmen hat wöchentlich über 30 Touren im Angebot und bietet mehr als 200 Räder zum Verleih. „Authentischer und besser kann man die Stadt nicht erleben“, ist Wollo überzeugt. Wir lassen es auf einen Versuch ankommen und stöbern im Tourenangebot: „Oasen der Großstadt“ mit rätselhaften Kunstobjekten und Strandbars am Spree-Ufer oder „Osten ungeschminkt“ mit Plattenbauten und Stasi-Knast. Wir gehen auf „Mauer-Tour“: Wollo sitzt lässig auf seinem Rad und wartet auf die letzten Teilnehmer der Gruppe vor der Kulturbrauerei. Sein breites Lächeln stiehlt der Sonne die Schau. Beleidigt verschwindet sie hinter Wolken. Wollo überbrückt die Wartezeit mit Geschichten vom Prenzlauer Berg. Dieser Stadtteil ist sein Leben. Wollo ist „Wessi“, „aber den Osten fand ich schon immer spannend“. In seinem Heimat-Kiez, Frohnau, fuhr die S‑Bahnlinie fünf Kilometer unmittelbar am Todesstreifen entlang. Jahrelang konnte er so die Veränderungen und letztlich das Verschwinden der Mauer in täglichen Schritten miterleben. „Irgendwann waren dann die Panzersperren weg. Da fragt man sich schon, warum.“ Nun begibt er sich zusammen mit Radel-Touristen auf Spurensuche. Neben den aus Film und Fernsehen bekannten verbliebenen Mauerstücken, findet sich die Mauer noch an vielen Häuserecken. Vorausgesetzt, man weiß, wonach man suchen muss. Und Wollo ist ein Kenner der Materie: Während der Fahrt stoppt er immer wieder, zeigt auf Häuserwände, an denen noch Isolatoren angebracht sind. Diese waren Teil eines perfiden Warnsystems. Oder ein Stück weiter lenkt er unsere Blicke in der Uckermünder Straße auf noch unsanierte Häuser: „Die Gebäudeseite, die in den Westteil ragt, strich man damals aus Imagegründen grün an“, sagt Wollo. Die Fassade nach außen musste gewahrt bleiben. Grenzübergang Bornholmer Straße: Wollo will gerade ansetzen, uns die Szenen von der Nacht des Mauerfalls wort- und gestenreich zu beschreiben – da fallen die ersten Tropfen. Im Regen schieben wir die Räder auf die Böse-Brücke, die über den einstigen Geisterbahnhof führt. Dichter Verkehr donnert vierspurig an uns vorbei. Auf dem Mittelstreifen quietscht die Straßenbahn. Unter dem Stahlkoloss rollen S‑Bahn, Regionalzüge und manchmal ein IC durch. Kaum vorstellbar, dass hier mal so die Ruhe des Todesstreifens herrschte.

Mauerspechte

Wie radeln zur Mauer-Gedenkstätte: Dieses 1,5 Kilometer lange Stück samt Todesstreifen ist nach dem Abrisstrend des Vereinigungstaumels wieder rekonstruiert worden und nun Gedenkstätte. Ironie der Geschichte: Die Mauer wird wieder bewacht – Mit Hämmerchen ausgestattete „Mauerspechte“ haben hier keine Chance mehr. Letzte Station unserer Tour ist der Wachturm Kieler Straße. Der Wachturm ist zwölf Meter hoch, er hat seine besten Tage hinter sich, dient nunmehr einer guten Sache: Der Turm erinnert an die Mauer-Opfer; eine Gedenktafel ist dem ersten Mauertoten gewidmet. Wollo erklärt sie uns mit eigenen Worten: „Günther Litfin wurde am 24. August 1961 von der DDR-Transportpolizei erschossen, als er versuchte, nach Westberlin zu schwimmen.“ Ein rüstiger Rentner begrüßt uns herzlich und führt mit Berliner Schnauze durch „seinen“ Turm. Der Name des Turmwächters ist Jürgen Litfin, Bruder des Toten.

Schluckspechte

Es ist Abend, wir haben fürstlich im Restaurant Zander (Kollwitzstr. 40) gegessen und starten mit Bikes auf Bar-Tour. „Bar´n´Bike“ nennen wir das. Mit von der Party ist Hendrik Tidefjärd, ein Lokation-Guide, der sonst für Agenturen, TV-Firmen und Promis auf der Suche nach den angesagtesten Clubs und Bars ist. Der findige Schwede ist eine Rakete: Mit Handy, Charme und Gespür für die richtige Tonlage bringt er uns an jedem Türsteher vorbei. So artenreich sich die Ladenkultur im Prenzlauerberg zeigt, so vital ist auch die Bar- und Clubszene. Unsere erste Station zeigt bereits, was Hendrik drauf hat: Der „Münzsalon“ verbirgt sich im zweiten Stock eines bürgerlichen Mietshauses kaum drei Häuserblock von den Hackeschen Markt entfernt. Eigentlich kommen hier nur Mitglieder sein … und Hendriks Freunde! „Zunächst war der Münzsalon einer von vielen illegalen Treffs hinter verschlossenen Türen. Um eine Schanklizenz zu bekommen, wurde kurzerhand ein Club daraus“, berichtet der Schwede. Wir radeln weiter durch die Nacht. Nächstes Ziel in Kreuzberg. Das „Monarch“ liegt im zweiten Stock, gegenüber einer Arztpraxis, hinter einer unscheinbaren leicht rostigen Stahltür. Coole Elektrobeats, lässige Kleidung und auschillen an der Bar oder Tischkicker bestimmen die Szenerie. Man ist unter sich; Hendrik inklusive, seine gebuchten Freunde des Abends sind die Zaungäste.

Wir beschließen den Abend, am Alexanderplatz im 12. und 15. Stock des alten Interflug-Hochhauses. Wo früher die Fluglinie des realen Sozialismus zur Übersollerfüllung einlud, erlädt nun die Jugend Berlins ihre Tanzwut. Die Beats hämmern gnadenlos. Ohne Oropax ist die Generation Ü‑30 hier kaum anzutreffen. Im Morgengrauen cruisen wir zurück zum Hotel.

Fahrradtypen in Bar-n-Bike Test:

Cruiser

Cool und günstig sind die meisten Cruiser, damit sind sie für kurze Strecken in der Stadt ideal. Auf große Tour kann man mit ihnen nicht und auch in eine Polizeikontrolle sollte man nicht geraten. Es sei denn, man hat die fehlende Lichtanlage samt Klingel und Reflektoren nachgerüstet. Wir hatten den „Surf City“-Cruiser von Felt dabei (www.felt.de, 549 Euro). Seine Drei-Gang-Nabeschaltung arbeitet zuverlässig und ist im vorwiegend flachen Berlin ideal.
Coolness-Faktor: +++++
Fahr-Faktor: +++
Touren-Faktor: +

E‑Bike

E‑Bikes machen das Stop-and-Go der Metropole zum willkommenen Anlass für immer neue Sprinteinlagen. Kein anderes Rad lässt sich so lässig auf Reisegeschwindigkeit bringen. Und wer in der Stadt mit edler Robe unterwegs ist, etwa zu einer Vernissage oder ins Theater, der kann dank „eingebautem Rückenwind“ auch flott fahren. Von Schweiß keine Spur. Dass der S-Flyer (www.flyer.ch, ab 2.990 Euro) zu dem ein äußerst chicer Vertreter der E‑Bike-Kategorie ist, bescheinigten uns auch die modebewussten Szenegänger Berlins. Bestnoten allerorten. Bei einer nächtlichen Biketour sollte man nicht alleine auf das Rahmenschloss vertrauen, sondern noch ein sicheres Modell zum Anschließen mitnehmen.
Coolness-Faktor: +++
Fahr-Faktor: ++++
Touren-Faktor: ++++

Tandem

Mit einem Tandem ist einem die Aufmerksamkeit sicher, auch in Berlin. Im Getümmel der Großstadt sollte ein souveräner Fahrer am Lenker sitzen, schließlich muss man im Verkehr den Überblick behalten. Clever: Während sich der Fahrer um die nächste Kreuzung kümmert, hat der Hintermann die Karte und damit das Fernziel im Blick. Verfahren ausgeschlossen! So konnten wir in Berlin jeden Insider-Tipp zielgerichtet ansteuern! Und wenn man abends allein mit dem Tandem los fährt, hat das Tandem zudem einen unschlagbaren Flirtfaktor. Wir waren mit einem Croozer-Tandem unterwegs (www.croozer.de, 1.340 Euro).
Coolness-Faktor: +++++
Fahr-Faktor: ++++
Touren-Faktor: +++

MTB

Mountainbike sind auch für den Stadtdjungel ideal, das wissen nicht nur Fahrradkuriere, auch Berufspendler greifen gern auf ein robustes Mountainbike zurück. Diese Wahl ist auch für Stadt-Touristen ideal: Man muss keine Rücksicht aufs Rad nehmen und kann geradewegs den touristischen Highlights folgen. Und die Berliner Straßen sind nicht immer die besten, da sorgen die breiten Reifen mit reichlich Profil für viel Sicherheit. Zudem: Das MTB hat noch den Touch des Sportlichen. Mit dem Haibike Edition 1 (www.haibike.de, 749 Euro) hatten wir einen soliden Einsteiger-Boliden, mehr braucht es für die Stadt technisch nicht, höchstens vielleicht, ob Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber will man das überhaupt?
Coolness-Faktor: ++++
Fahr-Faktor: ++++
Touren-Faktor: ++++

City-Bike

Das ideale Berliner Citybike muss voll gefedert sein, den Berliner Straßen sind mitunter in einem bemitleidenswerten Zustand. Mit dem Avenue von riese und müller (www.r‑m.de, ab 1.400 Euro) fährt man supe komfortabel über alle Straßen hinweg und kann sich vollends auf die touristischen Highlights konzentrieren. So muss Stadtradeln für Auswärtige sein. Dank der souveränen Lichtanlage konnten wir mit dem Avenue direkt zur abendlichen Sause weiter rollen. Im prakischen Klickfix-Korb fanden Regencape und Schloss Platz.
Coolness-Faktor: +++
Fahr-Faktor: +++++
Touren-Faktor: ++++

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