Kindertransport: Anhänger oder Cargobike?
Verkaufszahlen
Laut den Verkaufszahlen des Zweirad-Industrieverbandes sollen 2024 rund 220.000 Lastenräder und 182.000 Anhänger verkauft worden sein. Rund 80 Prozent der verkauften Fahrradanhänger waren für die Beförderung von Kindern gedacht. Über die spezifischen Einsatzzwecke der Lastenräder gibt es keine konkreten Daten.
Sicherheit
Fahrradanhänger für den Kindertransport gibt es seit Jahrzehnten. Sie verfügen über eine stabiles Fahrgastzelle, die auch einem Anprall durch ein Kfz standhält. Durch die Sicherheitsgurte verbleiben die Kinder bei einem Crash in der schützenden Fahrgastzelle. Bei einem Seitenaufprall wird der Anhänger mit großer Wahrscheinlichkeit weder umkippen noch überfahren, sondern seitlich weggeschoben, wodurch bereits sehr viel Anprallenergie absorbiert wird. Dies bedeutet eine hohe Schutzwirkung für die Insass:innen, die sicher in der auf beiden Rädern stehenden Fahrgastzelle bleiben, unabhängig davon, ob der oder die Fahrende des Zugfahrrades stürzt oder nicht. Robuste Stoßfänger, ein umlaufender Schutzbügel und ein Schiebebügel, der auch als Überrollschutz fungiert, sind zusätzliche Sicherheitsmerkmale bei hochwertigen Anhängern, z. B. von Croozer.
Bei Cargobikes gibt es mittlerweile Sicherheitsboxen aus geschäumtem Kunststoff wie EPP (expandiertes Polypropylen). „Das Material ist aus dem Autobau bekannt und hält auch einem Crashtest eines Autos stand. Die Zeiten, in denen Kinder noch in Holzkisten im Lastenrad transportiert wurden, sollten vorbei sein“, sagt Lothar Schiffner vom Cargobike-Hersteller Ca Go. Die Hartschaumboxen sind so konzipiert, dass sie bei einem Aufprall Energie absorbieren und oft so gestaltet, dass sie den Kopf- und Nackenbereich zusätzlich schützen.
Aber egal, ob Lastenrad oder Anhänger: Eltern müssen darauf achten, dass ihre Kinder stets richtig angeschnallt sind. Bei hochwertigen Produkten ist ein Fünf-Punkt-Gurtsystem verbaut, das die Kinder an den Schultern und der Hüfte bei einem Zusammenstoß sicher im Sitz hält. Dafür müssen allerdings auch alle Gurte angelegt und auf die Körpergröße passend eingestellt sein. Zudem ist das Tragen eines Fahrradhelms zu empfehlen.
Sichtbarkeit
Um bei Dunkelheit und schlechten Sichtverhältnissen gesehen zu werden, müssen Kinderanhänger laut Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) eine aktive Rückleuchte sowie zwei Reflektoren nach vorne und hinten haben. Zusätzlich setzt beispielsweise Croozer auf retroreflektierende Textilbänder, die das Scheinwerferlicht von anderen Fahrzeugen reflektieren. Eine Sicherheitswimpel sorgt für zusätzliche Sichtbarkeit, wenn der Anhänger durch Autos verdeckt wird. Bei Cargorädern ist die nötige Lichtausstattung bereits am Rad verbaut. Hier können zusätzlich die EPP-Boxen mit reflektierenden Eigenschaften ausgestattet werden, was die Sichtbarkeit nochmals erhöht.
Fahrverhalten
Bevor es richtig losgeht, empfiehlt es sich, sowohl mit dem Anhänger als auch mit dem Cargobike, ohne Kinder abseits des Straßenverkehrs ausgiebig zu üben. Bremsen, Notbremsen, Lenken, Kurvenfahren stehen genauso auf dem Programm wie das Passieren von Engstellen und Schwellen. „Cargobikes sind in der Regel etwas gewöhnungsbedürftiger als das Gespann mit Anhänger. Insbesondere dreirädrige Modelle brauchen anfänglich Übung, da das Lenkverhalten sich vom normalen Fahrrad unterscheiden kann“, erklärt der Fachjournalist Laurenz Utech von der Plattform Nimms-Rad.de. Ungewohnt ist anfänglich für viele Nutzer:innen, dass das Vorderrad bei Cargobikes, sowohl beim zweirädrigen Typ Long John als auch bei manchen dreirädrigen Modellen, nicht zu sehen ist. „Das ist bei den ersten Fahrten eine Umstellung. Aber nach ein paar Übungsrunden hat man sich dran gewöhnt“, sagt Utech.
„Wer besonderen Wert auf Sicherheit und Stabilität legt, sollte ein dreirädriges Modell wählen“, empfiehlt Birgit Greif, Brand Managerin beim Hersteller Winora, der neben einem zweirädrigen Modell mit dem „F.U.B. 3W“ auch ein dreirädriges Rad im Angebot hat. Der Vorteil der dreirädrigen Modelle: Die Räder punkten insbesondere bei geringen Geschwindigkeiten dank ihrer Kippstabilität und man kann, wie beim F.U.B., bis zu vier Kinder transportieren.
Während die bislang genannten Konzepte auf kleine Vorderräder und größere Hinterräder setzen, liefert der Kompaktradspezialist I:sy einen weiteren Ansatz: Das Modell „Cargo P12 ZR Maxi“ rollt vorn wie hinten auf 20-Zoll-Rädern. „So lässt sich das Rad auch mit voller Zuladung flink und wendig fahren. Besonders für Neueinsteiger:innen eine Option, weil der Umstieg schnell funktioniert“, sagt Marketingmanager Till Kaletsch.
Eine weitere Cargobike-Option sind die sogenannten Longtails, also Räder mit verlängertem Gepäckträger. Dank verschiedener Aufbauten können bis zu zwei Kinder in Kindersitzen oder auf einer Sitzbank mitgenommen werden. „Die Räder wie unsere Modelle ‚Multitinker‘ und ‚Multicharger‘ fahren sich wie gewöhnliche Fahrräder. Wenn man Kinder dabei hat, merkt man aber, dass sich deren Bewegungen auf das Fahrverhalten des Rades auswirken können. Das kann anfänglich etwas ungewohnt sein, man lernt aber schnell, das auszugleichen“, weiß Benjamin Wenz von Riese & Müller aus eigener Erfahrung.
Nutzer:innen von Kinderanhängern spüren hingegen die Bewegungen der Kinder nicht. Anhänger haben kaum Auswirkungen auf das Fahrverhalten. Selbst Kurvenfahrten bleiben wie mit dem gewohnten Solofahrrad: Der Fahrende kann sich in die Kurve lehnen, der Anhänger folgt stabil auf beiden Rädern, weil die Kupplung des Anhängers gelenkig ist. Einzig: Man muss etwas mehr auslenken, um mit dem Anhänger nicht an Engstellen anzustoßen. Und das Rangieren beim Ein- und Ausparken – insbesondere rückwärts – kann anfänglich knifflig sein. „Mit ein bisschen Übung hat man das aber schnell gelernt“, meint Anne Schmidt vom Anhängerhersteller Croozer. Auch beim Fahren merkt man das Gewicht des Anhängers inklusive Kinder kaum. „Die meisten Eltern nutzen mittlerweile E‑Bikes aus Zugfahrzeug. So wird auch Anstiegen der Schrecken genommen“, weiß Schmidt. Aufgrund der höheren Gesamtmasse sollte das Zugfahrzeug aber über ein gutes Bremssystem, am besten mit hydraulischen Scheibenbremsen, verfügen.
Kontakt zum Kind
Beim Anhänger ist der Kontakt zwischen Eltern und Kindern wie im Auto – das Elternteil ist vorne, die Kinder hinten. Der Anhänger ist dabei das Reich der Kinder. Hier können sie sich selbst beschäftigen oder die Eltern beobachten. Das gibt den Kindern Sicherheit und sie sehen, wie sich die Eltern per Rad im Straßenverkehr verhalten. „Das ist enorm wichtig für das spätere eigenständige Radfahren. Die Kinder erlernen passiv, wie man mit dem Arm blinkt oder sich mit anderen Verkehrsteilnehmenden verständigt“, erklärt Schmidt.
Bei den meisten Cargobike-Varianten sitzen die Kinder hingegen vorne und sind somit im Blickfeld der Fahrenden. Die Kinder haben ein freies Sichtfeld und können so mehr von der Umwelt wahrnehmen. „Allerdings sind sie direkt dem Fahrtwind ausgesetzt. Deshalb ist es sinnvoll, auch im Sommer mit Verdeck zu fahren“, weiß Fachjournalist Utech.
Klima
Die Verdecke von Anhängern und Cargobikes verfügen in der Regel über einen UV-Blocker und schützen so vor direkter Sonneneinstrahlung. Außerdem sind sie wasserabweisend. Für gute Belüftung und bessere Luftzirkulation können die Seitenteile bei Cargobikes oder das Verdeck bei Anhängern geöffnet werden. Bei Anhänger schützt noch ein zusätzliches Insektennetz vor ungewollten Mitfahrern. Croozer geht beim neuen Yuuna noch einen Schritt weiter: Ein spezielles Lüftungssystem mit Lüftungsklappen und einem Lüftungstunnel am Verdeck sorgt für ausreichend Frischluft, ohne Zugluft zu erzeugen – so ist die Temperatur auch an warmen Tagen immer optimal. Zusätzlich nutzt das Unternehmen atmungsaktives Climatex-Material in den Sitzen, was ein angenehmes Sitzgefühl ermöglicht und Schwitzen verhindert.
Federung
Für zusätzlichen Komfort sorgen diverse Federungssysteme, die etwa Schlaglöcher absorbieren. Croozer setzt bei seinen Anhängern auf eine innovative Federung an den Achsen, die sich automatisch einstellt und so Unebenheiten ausgleicht und abdämpft. Damit wird nicht nur der Fahrkomfort für die Insass:innen verbessert, sondern auch die Fahrsicherheit des Anhängers, weil die Räder besseren Fahrbahnkontakt haben. „Dadurch lassen sich unsere Anhänger auch auf Wald- und Feldwegen nutzen, ohne dass die Kinder durchgerüttelt werden. Familien bekommen so die Option, neben den Alltagswegen den Anhänger auch für gemeinsame Ausflüge zu nutzen“, erklärt Schmidt. Bei Cargobikes gibt es ebenfalls Modelle mit Federung, wie das „Packster 2 CT“ oder das „Load 4“ von Riese & Müller. „Unsere Control Technology aus optimierter Federgabel und Hinterradschwinge sorgt für eine optimale Straßenlage und mehr Sicherheit. Vibrationen und Stöße von Kopfsteinpflaster oder Straßenkanten werden ausgeglichen, die Räder behalten stets den Kontakt zur Straße. So ist ein sportliches und komfortables Fahren auch mit Lastenrad möglich“, erklärt Benjamin Wenz.
Alltagstauglichkeit
In Sachen Alltagstauglichkeit punkten Kinderanhänger durch ihre Flexibilität. Da mehrere Räder mit einer Anhängerkupplung ausgestattet werden können, ist die Nutzung des Anhängers nicht nur auf ein Rad beschränkt. So kann ein Elternteil die Kinder in die Kita bringen, den Anhänger dort anschließen und nachmittags holt das andere Elternteil den Anhänger mitsamt Kindern wieder ab. Zudem verfügen viele Modelle über einen kleinen Kofferraum, in dem Einkäufe oder Spielsachen für Kinder verstaut werden können. An einem Zugfahrzeug mit Gepäckträger findet sich ausreichend Platz, um Fahrradtaschen (z. B. wasserdichte „Backroller“ von Ortlieb) anzubringen. Zusätzlich lassen sich Fahrradanhänger mit nur wenigen Handgriffen zu einem Kinderwagen umbauen.
Cargobikes haben hingegen den Vorteil, dass die Kindersitze einfach einklappbar sind. Dadurch lässt sich das Bike mit nur wenigen Handgriffen vom Kinder- zum Cargotransport umbauen. Diese Funktion ist auch beim neuen Anhänger Yuuna von Croozer möglich. Die Sitze lassen sich mit nur wenigen Handgriffen entfernen und es entsteht eine durchgehende Ladefläche mit einem hohen Transportvolumen. So ist der Anhänger auch noch nutzbar, wenn ihm die Kinder entwachsen sind.
Multifunktionalität
Während die Cargobikes auf ihren Einsatzzweck als Fahrrad beschränkt sind, bestechen Anhänger durch ihre Vielzahl an weiteren Einsatzmöglichkeiten: Mit nur wenigen Handgriffen lassen sie sich zum Kinderwagen oder zum Jogger umbauen und erhöhen somit die Nutzbarkeit im Familienalltag. Im neuen Yuuna gibt es beispielsweise altersangepasste Sitzmodule. Neugeborene können entgegen der Fahrtrichtung mitgenommen werden. Die Kofferraumabdeckung ist abnehmbar, sodass Blickkontakt mit dem Kind hergestellt wird. So ersetzt der Anhänger einen Kinderwagen. Werden die Kinder älter, wird ein Kindersitz mit verstellbarer Rückenlehne eingesetzt. So können die Kinder während der Fahrt auch in Schlafposition gebracht werden und ein Nickerchen tätigen. Durch den modularen Aufbau ist auch die gleichzeitige Mitnahme von Hund und Kind im Anhänger möglich. Insgesamt bietet Croozer 117 unterschiedliche Möglichkeiten.
Alter
Kinder können im Anhänger sowie im Cargobike ab dem Moment mitgenommen werden, da sie selbstständig sitzen können. Für viele Anhänger gibt es als optionales Zubehör eine Babywanne, die modellabhängig eine Mitnahme ab dem ersten bzw. dritten Monat ermöglicht. Bei Cargobikes gibt es zum Babytransport Modelle für die Aufnahme eines Maxi-Cosis. Eine klare Vorgabe, wie lange Kinder transportiert werden dürfen, gibt es nicht. Bei Cargobikes ist es je nach Modell zwischen dem sechsten bis achten Lebensjahr möglich. Die Hersteller geben meist Gewichtsangaben an. Beim neuen „I:sy Cab“ von I:sy ist beispielsweise die Mitnahme von Personen bis 57 Kilogramm möglich, was leichten Erwachsenen entspricht. Bei Longtails können dank spezieller Passagierkits Personen bis 65 Kilogramm transportiert werden. Beide Optionen machen Sinn, wenn man auch ältere Kinder chauffieren möchte. Im Anhänger dürfen Kinder laut Straßenverkehrsordnung bis zum sechsten Lebensjahr mitgenommen werden.
Transport
Kinderanhänger lassen sich zusammenklappen und passen so in fast jeden Autokofferraum. Damit sind sie für Ausflüge oder auch für die Fahrten in den Urlaub äußerst praktisch, während die Fahrräder oder E‑Bikes auf dem Fahrradträger Platz finden. Zudem lassen sich Kinderanhänger kostenlos als Kinderwagen bzw. Buggy in der Bahn transportieren. „Dafür dürfen sie allerdings nicht am Fahrrad befestigt sein“, weiß Schmidt. Die Möglichkeit besteht auch für Flugreisen oder Fernbusfahrten. Alles Optionen, die einem Lastenrad bislang nicht zur Verfügung stehen. In Fernzügen der Deutschen Bahn ist die Mitnahme ausgeschlossen, im Nahverkehr in vielen Verbundsystemen ebenfalls. Auch der Transport per Auto ist aufgrund der Länge der Räder nicht möglich.
Parken
Lastenräder sind meist zu groß zum Abstellen auf Gehwegen oder zu schwer, um einfach in den Keller getragen zu werden. Die Parksituation sollte deshalb vor der Anschaffung geklärt sein. Innovative Modelle wie das „Carrie“ von Riese & Müller sind dank einer zusammenklappbaren Transportbox bei geringem Platzbedarf deshalb äußerst praktisch. Anhänger lassen sich hingegen von Haus aus zusammenfalten und so im Keller oder, wenn erlaubt, Hausflur verstauen. Sie sind mit ca. 15 Kilogramm auch leichter zu tragen. Aufgrund der Länge des Anhängergespanns sowie der Cargobikes ist ein Abstellen auf dem Gehweg oftmals schwierig, ohne Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen zu behindern. Deshalb entstehen in Städten extra ausgewiesene Fahrradparkplätze, die ein Abstellen der Gefährte ermöglichen. Wer draußen parken muss, kann sich praktische Faltgaragen besorgen, die den Anhänger oder das Cargobike vor Wind und Wetter zusätzlich schützen.
Finanzierung
E‑Lastenräder für den Kindertransport gibt es bereits ab 4.000 Euro. Hochwertige Modelle wie von Riese & Müller, I:sy, Winora oder Ca Go kosten ab ca. 5.500 Euro. Der Vorteil an Lastenrädern: Man kann sie für drei Jahre leasen, wenn es der Arbeitgeber ermöglicht. So sind Ersparnisse bis zu 40 Prozent gegenüber einem Direktkauf möglich. „Im Bereich Lastenrad bietet der Leasingmarkt noch viel Potenzial“, weiß Sören Hirsch vom Leasinganbieter Linexo. Riese & Müller bietet zudem die Option, Räder für zwei Jahre zu leihen, was ebenfalls eine Ersparnis gegenüber dem Direktkauf darstellt. Anhänger sind deutlich günstiger in der Anschaffung. Hochwertige Modelle sind zwischen 800 und 1.500 Euro zu haben. Anders als beim Lastenrad ist ein Leasen von Anhängern nicht möglich, sondern nur als Zubehör im Leasingvertrages eines Fahrrads oder E‑Bikes. Und auch nur wenige Leasinganbieter haben diese Zubehöroption. Eine Ausnahme ist hier Linexo: „Wir sagen: Alles, was am Rad angeschlossen werden kann, kann auch geleast werden. Dazu zählt auch der Anhänger, wenn er zusammen mit einem Fahrrad oder E‑Bike geleast wird“, so Hirsch.