Menü ☰ ☰ Login
& Suche
2.524

Kellerwaldmarathon
Den Artikel als PDF herunterladenPost to FacebookPost to TwitterPost on XingPost on LinkedIn

Dienstag, 28. April 2009

*** Bitte beachten Sie: Dieser Artikel ist zwei Jahre alt oder älter. Wir haben ihn nicht gelöscht, weil Inhalte wie Tipps, Hintergründe und Technisches noch immer gültig sind. Ansprechpartner, Produkte und Preise können sich aber zwischenzeitlich geändert haben. Für ein Update rufen Sie uns bitte an! ***

Drei Runden, keine Ehre und viel Erkenntnis

Gilserberg ist unter Mountainbikern im Norden Deutschlands eine weithin bekannte Stadt. Fast ist man geneigt, von einem Mountainbike-Mekka zu sprechen, denn in Gilserberg findet alljährlich der Auftakt der Deutschen Mountainbike-Marathonsaison, der Kellerwaldmarathon, statt. Gunnar Fehlau vom pressedienst-fahrrad war dabei.

Der Kellerwaldmarathon ist ein wahres Spektakulum in Gilserberg. Die 3.300 Einwohner-Gemeinde hat sich herausgeputzt; alle sind auf den Beinen, alle sind involviert – ob als kopfschüttelnde Zaungäste, Helfer oder engagierte Zuschauer. Heute fällt die Kirche aus! Der Stollensatan regiert über Gilserberg. Bereits um 8:30 Uhr wummern schnelle Beats durchs ganze Dorf. Sixtus liegt in der Luft und hunderte Mountainbiker fahren sich auf den wenigen Straßen des Dorfes warm. Um 9.00 starten die Biker der 80- und 120-Kilometerrunde.

Orangenes Zeltlager

Ihre Autokennzeichen sind gelb, ihre Nationalfarbe ist orange und ihre Räder sind rot. Die Holländer gehören zu den Stammfahrern beim Kellerwaldmarathon. Denn kein Marathon findet früher statt und keiner liegt näher. Sie haben den Zeltplatz fest im Griff: Gute Stimmung, reichlich Grills und Bier. Dennoch geben Sie am anderen Tag Vollgas. Die können feiern. Im Zeltlager und im Fahrerlager!

Dorfrunde zum Auftakt!

Wer im April bereits ein Rennen fährt, der hat dafür zwei Gründe: Entweder er ist bereits richtig fit, oder er braucht dringend Fitness. Man erkennt den Unterschied einfach an den Beinen: Braune, rasierte Beine zeugen vom Trainingslager = fit! Weiße oder unrasierte Beine = Grundlagenausdauerdefizit! Das Revier wird bereits beim Warmfahren im Dorf abgesteckt. Wer hier die große Scheibe auflegt und das 11er Ritzel locker rund tritt, der zeigt, dass er heute Großes vorhat. Wer hier besonnen pedaliert und gar Anzeichen macht, das Aufwärmen wirklich zu brauchen, der hat bereits verloren. Die wirkliche Funktion dieser Aufwärmphase ist die Selbstkalibrierung: Jetzt, im direkten Vergleich zum Anderen, muss man bilanzieren; wie fit bin ich und wie fit darf ich mich fühlen? Bin ich bereit, alles zu geben oder fürchte ich heute doch den Tod?

Vom Kellerwald in die weite Welt

Für uns, meinen Kumpel Sven und mich, ist der Kellerwaldmarathon der finale Teamtest für unser großes Sommerabenteuer (siehe Reportage: TransNorway 2008 [https://www.pd‑f.de/Archiv/Reportagen/TransNorway-2008.html]). Die Sechs-Etappenfahrt durch Norwegen soll etwas ganz besonderes sein! Wir müssen nicht nur ordentlich fit sein, sondern auch gut harmonieren. Schließlich fährt man dort zu zweit im Team. Im Kellerwald muss jeder für sich zeigen, dass er fit ist. Fit genug, um sechs Tage hintereinander zwischen 95 und 155 Kilometer durchs Gelände zu fahren. Und wir müssen als Team zeigen, dass wir eine Einheit sind. Keine Wurzel, die einer alleine überfährt, kein Graben, den nicht beide sehen und keine Kehre, die wir nicht zusammen wie auf Schienen durchfahren. Nur wenn wir uns hier als Team bewähren, haben wir im hohen Norden einen Chance.

So pedalieren wir besonnen, unsere Blicke gehen ins Leere und für ein Gespräch ist trotz Sub-Zwanzig-Tempo kaum mehr Luft. Die Realität hat eingesetzt! Wir schalten auf „Überlebensmodus“, bevor der Marathon begonnen hat.

Erst Runde – schlechte Kunde

Nach einer neutralisierten Runde durchs Dorf ertönt der Startschuss … in weiter Ferne! Denn wir haben bereits den ersten Kilometer Rückstand auf die Führenden. Sie fahren ein Rennen und wir eine Tour. Der Puls schnellt hoch, das Tempo bleibt gering! Wir sind am Limit und dennoch werden wir bereits durchgereicht. Zusammen mit ein paar MTB-Senioren und offensichtlichen Tourenfahrern machen wir das Gruppetto. Mehr als zweieinhalb Stunden brauchen wir für die 40-Kilometerschleife. Der Sieger der 40-Kilometerschleife ist bereits über eine Stunde im Ziel! Wir biegen auf die zweite Schleife durch den Kellerwald.

Material bei der Generalprobe

Welches ist das ideale Mountainbike für ein Etappenrennen, wenn man vor dem Start überhaupt keine Details kennt? Wir haben uns für ein leichtes Carbon-Fully entschieden, das uns die Firma Haibike (www.haibike.de) für das Rennen zur Verfügung stellte: Das Hai End FS ist eine ideale Verbindung aus Eleganz und Geschwindigkeit. Mit straff abgestimmter Federung ist das Fullsuspension-Bike irre schnell. Bergauf fliegt es dank des revolutionären „Platform Action Control“-Systems (PAC) ohne Kraftverlust und dennoch mit perfekter Traktion dem Gipfel entgegen; bergab hat es genügend Reserven, um schnell, komfortabel und sicher zu fahren. „Der Carbon-Monocoque-Vorderbau und der Aluminium-Viergelenk-Hinterbau stellen die ideale Verbindung aus Gewicht und Steifigkeit dar“, heißt es auf der Internetseite von Haibike. Bereits nach der ersten Runde auf dem Hai End FS stimmen wir dieser Einschätzung zu. Die Avid-Scheibenbremsen (Juicy Carbon Ultimate, www.sram.com) waren in Kombination mit den „Racing Ralph“-Reifen (2.25–559, mit SnakeSkin-Flanke, www.schwalbe.de) in wirklich jeder Situation Herr der Lage. Als äußerst nützlich hat sich der Blockierhebel für die Federgabel am Lenker erwiesen.

Wiederholung ohne gelernt zu haben!

Langsam wird es warm! Also mehr als 10 Grad Celsius. Der Regen hat auch wieder ausgesetzt. Man könnte von akkuratem Mountainbiken reden – wenn Puls und Tempo in einem gesunden Verhältnis zu einander stünden. Tun sie aber schon seit einigen Kilometern nicht mehr! Aber die Stimmung stimmt. Sven und ich verstehen uns prächtig! „Tempo tötet!“, lautet eine alte Radsportweisheit. Die meisten denken ja, das bezieht sich auf zu hohes Tempo, das die Beine dick macht! Doch die Wahrheit ist eine andere: Zu geringes Tempo tötet und zwar die Stimmung und damit zwangsläufig die Moral! Vor allem Langstreckler wissen das! Und wer auf längeren Strecken zuhause ist, der hat gelernt, Tempo und Gemüt zu entkoppeln. Uns beiden gelingt das sehr gut. Wir reden so über dies und das; erfreuen uns an den kniffeligen Schlammpassagen im Wald und vergessen Mitfahrer und Zeit. Es vergehen wieder fast zweieinhalb Stunden und wir sind wieder an der entscheidenden Stelle. Der Abzweig! Freie Wahl. Letzte Meter oder eine neue Runde!

Während wir die letzten Meter der zweiten Runde rollen, überholt uns Ramses Bekkenk. Er hat jetzt Feierabend, denn er hat die dritte Runde bereits hinter sich! Übrigens auch die Singlespeeder, die hier ihre Deutsche Meisterschaft über 80 Kilometer ausfahren, sind bereits fertig.

… und aus bist du!

Das Wetter fordert seine Opfer. Die kalten Temperaturen und der Regen haben vielen Bikern ordentlich zugesetzt. Über 150 Fahrer hatten sich in der Voranmeldung für die 120 Kilometerrunde mit knapp 3.000 Höhenmetern entschieden. Keine 77 werden am Ende als Finisher in der Ergebnisliste stehen. Nicht wenige entschieden sich nach zwei Runden „spontan“. Oder es wurde entschieden, denn wer länger als fünf Stunden für die 80 Kilometern benötigte, dem wurde die Durchfahrt zur letzten Runde verwehrt. Hinter uns kommen nur noch einige wenige Biker. Die Fahrt wird nun einsam. Wir überholen noch ganze zwei Fahrer auf 40 Kilometern. Langsam macht sich Müdigkeit breit, aber schlecht gelaunt sind wir nicht! Das Wetter wird besser, die Scherze bleiben gut! Wir haben keinen Hunger, keinen Durst und keinen Platten! Die Trails gehören uns! Was sollte aufs Gemüt gehen?

Dank fürs Preisgeld!

Nach 07:35:37 Stunden rollen wir durch den Zielbogen! Die Stars der Szene feiern sich selbst bei der Siegerehrung! Und ohne dass wir uns versehen, stehen wir auch auf der Bühne! Denn der Vorletzte erhält auch einen Preis. Ganz Team teilen wir uns diesen Preis, stellen uns zusammen aufs Podest und grinsen in die Kamera. Dem Moderator diktieren wir ins Mikrofon: „Das ist ein echter Scheißpreis!“ Wir freuen uns aber über den Reisegutschein und die Naturalien. Das Brot verzehren wir sofort!

Infokasten: 12. Kellerwald-Bikemarathon, 10. Mai 2009

Massenstart mit Einführungsrunde am „Platz der Begegnung“ in Gilserberg. Es stehen 40 km, 80 km und 120 km zur Wahl, die beiden langen Runden starten um 9:00 Uhr, die kleinste Runde um 10:00 Uhr. Jede Runde auf 40 Kilometern 960 Höhenmeter. Die Strecke liegt vollständig im Naturpark Kellerwald-Edersee. Diese reizvolle Landschaft gilt es zu erhalten, so werden alle Fahrer, die Müll wegwerfen, ohne Ausnahme disqualifiziert. Die maximale Steigung beträgt 23 Prozent. Startberechtigt sind Hobby- und Lizenzfahrer‑, Jedermann und ‑frau. Das Mindestalter beträgt 18 Jahre, Jugendliche ab 16 Jahre dürfen nur mit schriftlicher Zustimmung der Erziehungsberechtigten und in Begleitung eines Erwachsenen fahren. Neben den Standardwertungen gibt es Sonderwertungen für Tandems und Handicap-Fahrer (ab 50% Behinderung). Außerdem wird die Deutsche Mountainbikemarathon-Meisterschaft der Singlespeedfahrer über 80 km ausgetragen.

www.kellerwald-bikemarathon.de

Passende Themen beim pd‑f:

Einfach mehr Spaß auf dem Mountainbike: Das Ende des Umwerfers

Radreise im Winter: Trondheim-Oslo – The Other Way Round

Rad am Ring: Mit dem Hot Rod durch die Grüne Hölle

Mountainbike-Geometrie: die unterschätzte Größe


Zurück zur Übersicht: Reportagen, Zurück zur Übersicht: Themenarchiv