
Wer kontrolliert die Kontrolleure – Kommt der Pedelec-Test der Stiftung Warentest unter die Räder?





Montag, 28. Oktober 2013
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Neues Material zur Kritik am Pedelec-Test bringt Stiftung Warentest und ADAC unter Druck
Auf einer Pressekonferenz in Berlin präsentiert die Fahrradbranche Beweismaterial, das die erheblichen Zweifel an den Ergebnissen des Pedelec-Tests von Stiftung Warentest und ADAC vom Mai dieses Jahres bestätigt. Fahrradhersteller sprechen von fehlerhaften Versuchsanordnungen, realitätsfernen Belastungsannahmen sowie verantwortungsloser Interpretation und medialer Aufbereitung der Ergebnisse durch Stiftung Warentest. Der pressedienst-fahrrad hat sich in die komplexe Thematik eingearbeitet und gibt Entwarnung in Sachen Pedelec, nicht jedoch für den „Konsum“ der StiWa-Tests.
Griffige Überschrift – rutschiges Terrain
Umgehende Kritik der Branche bekommt Fakten-Grundlage
Diese einhellige und laute Kritik der Fahrradfachwelt belegt nach Worten von Gunnar Fehlau, Leiter des pressedienst-fahrrad und u. a. Koautor eines Fachbuches über E‑Bikes, zum Einen „die gestiegene fachliche Professionalität, aber auch das gestiegene Selbstbewusstsein der Fahrradbranche. Schließlich hat sie in den vergangenen Jahren mehr als eine Million E‑Fahrzeuge verkauft.“
Test mit verzerrter Realitätswahrnehmung?
Daraus ziehen die Fachleute zwei Schlüsse: Entweder war der Test zu hart oder in seinem Aufbau falsch. Hans-Heinrich Pardey, Technik-Redakteur bei der F.A.Z., kommentierte am 02. Juni: „Was der Bericht als‚realistisch‘ bezeichnet, darüber kann man jedoch mit Fug und Recht diskutieren … Wenn es dauernd zusammenbräche, hätte sich das längst herumgesprochen“. In die gleiche Kerbe schlägt Marcus Schroeder von EFBE Prüftechnik: „Wie gut ein Produkttest ist, bemisst sich nicht darin, wie hart er ist und wie viele Prüflinge er zerstört. […] Die Qualität eines Tests zeigt sich viel mehr darin, dass er relevante Versagensbilder in der Hand des Verbrauchers vorhersagt – und somit den Verbraucher schützt – und tatsächliche Fehler unzulänglicher Produkte reproduziert. In dieser Mission ist die Stiftung Warentest kläglich gescheitert.“ Der ZIV wurde in seiner Meldung vom 5. Juni bereits konkreter: „Die von der StiWa angewendeten Festigkeitsprüfungen von Bauteilen unterscheiden sich grundsätzlich von den Anforderungen der einschlägigen europäischen Normen. Aus diesem Grund sind die Ergebnisse der StiWa für die Industrie in vielen Punkten nicht nachvollziehbar.“ Darauf angesprochen, sagte Heike van Laak, Leiterin der Presseabteilung der Stiftung-Warentest, gegenüber dem pressedienst-fahrrad: „Wir haben keinen Anlass zu Zweifeln irgendeiner Art. Wir bleiben bei unserem Testergebnis.“
Transparenz-Dilemma: dusselig, divenhaft oder diktatorisch …
Die Nachvollziehbarkeit von Testergebnissen ist für die Industrie und damit für den Verbraucher von entscheidender Bedeutung. Ungeachtet dessen, ob ein Testverfahren als realistisch gilt oder nicht: nur wenn Ingenieure einen Bruch reproduzieren können, sind sie in der Lage, die Fehlerquelle auszumachen und dann auszuschalten. Dr. Holger Brackemann, Testleiter bei der Stiftung Warentest, nahm laut VSF-Meldung bei der offiziellen Vorstellung der Ergebnisse die Hersteller in die Pflicht, „ausreichende Sicherheitsprüfungen“ vor dem Verkauf der Räder vorzunehmen. Hier liegt nach Ansicht von Gunnar Fehlau allerdings eine Verkehrung von Ursache und Wirkung vor: „Weichen die Testverfahren von den Normen ab, so besteht die Bring- und Beweispflicht nicht beim Produzenten, sondern beim Tester“, ist Fehlau überzeugt. In der Vergangenheit mahnte die Industrie eine Offenlegung der Testverfahren immer wieder an, während die StiWa für sich ausreichende Transparenz proklamierte. Informationen erhält beispielsweise Biketec nach eigenen Angaben nur dann von der StiWa, „wenn sie Anwälte einschaltet – und auch dann nur häppchenweise“, ist auf zeit.de zu erfahren. Hingegen behauptete Heike van Laak: „Wir können belegen, dass alle Hersteller das komplette Prüfprogramm erhalten haben. Die Behauptung, dass die StiWa intransparent sei, ist eindeutig falsch.“
Als bezeichnend für die Stimmung zwischen StiWa und Fahrradbranche kann eine Podiumsdiskussion auf dem Branchenkongress vivavelo im Jahr 2010 angesehen werden. Damals sicherte Brackemann dem Fahrradsachverständigen Zedler Informationen zur Versuchsanordnung der StiWa-Fahrradtests zu. Laut zeit.de wartet Zedler bis heute darauf. „In Sachen Transparenz müssen Stiftung Warentest und ADAC besser werden“, war schon damals die Forderung der Fahrradbranche, die ExtraEnergy in einer Stellungnahme im Juni dieses Jahres wörtlich wiederholte.
Angesichts dieser Spannungen zwischen Industrie und StiWa wirkt es fast ein wenig ironisch, dass der gesicherte Bereich der StiWa-Internetseite, über den die StiWa den Herstellern Informationen rund um die Tests zur Verfügung stellt, mit „partner.stiftung-warentest“ beginnt.
Biketec wählt den steinigen Weg zur Wahrheit
Wiederholungstäter: StiWa oder Fahrradbranche?
Einen Test im Fahrradbereich mit scheinbar dramatischen Folgen veröffentlicht die StiWa nicht zum ersten Mal. Beispielsweise wurden 2010 Kindertransportern Bruchgefahr und überhöhte Schadstoffwerte attestiert. Die Gemengelage ähnelt dem Pedelec-Test bis ins Detail: keine Schadensbilder in der Realität, dramatische Berichterstattung, Verunsicherung der Verbraucher, fundierter Protest der Fachleute und zäher Informationsfluss von Seiten der StiWa. Die damaligen Recherchen des pressedienst-fahrrad fasst die F.A.Z. in der Beilage „Technik und Motor“ in ihrer Ausgabe vom 29.10.13 wie folgt zusammen: „Es ergab sich, dass zum einen von der Stiftung Warentest für die Schadstoffe ein Grenzwert angenommen worden war, als ob es sich bei der Verkleidung eines Fahrradanhängers um einen Schnuller handele. Andererseits hatte die Stiftung nicht untersuchen lassen, ob die Schadstoffe aus dem Material austreten und vom Körper aufgenommen werden können. Ein sogenannter Migrationstest, durchgeführt vom TÜV Rheinland ergab: Die behauptete Gesundheitsgefährdung sei ‚nahezu ausgeschlossen‘.“
Rollen-Prüfstand: Welche Rolle hat die StiWa?
Durch das Missverhältnis zwischen der Selbstdarstellung der StiWa, die sich zum Ziel setzt, Verbrauchern „durch die vergleichenden Tests von Waren und Dienstleistungen eine unabhängige und objektive Unterstützung zu bieten“ (test.de) und ihrer diffusen Informationspolitik gegenüber der betroffenen Wirtschaft, gerät die Stiftung selbst auf den Prüfstand. „Die Tester müssen, wenn sie ihrem Anspruch gerecht werden wollen, ihre Aufklärungsverpflichtung gegenüber Verbrauchern, Unternehmen, Fachleuten und interessierten Gruppen anerkennen und wahrnehmen. Insbesondere wenn sich, wie geschehen, Ergebnisse im Nachhinein „anders“ oder falsch darstellen,“ wird in der gemeinsamen Mitteilung zur Berliner Pressekonferenz gefordert.
Insbesondere die Prüfinstitute der Fahrradbranche beäugen die Situation sehr genau. Marcus Schroeder wird auf dem Branchenportal velobiz.de dazu wie folgt zitiert: „Man könnte argwöhnen, dass das 2012 zum ersten Mal von der Stiftung Warentest erwirtschaftete Defizit den Verkaufsdruck erhöht. In Tat und Wahrheit jedoch steht dieser Test in einer jahrzehntelangen Tradition des ‚Bike Bashing‘, ohne dass es jemals zu nennenswertem Widerstand der getadelten Industrie gekommen wäre.“
Denn Derby und Bosch konnten bereits erwirken, dass Stiftung Warentest und ADAC ihre Aussagen zum Thema Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) auf ihren Internetseiten inzwischen teilweise korrigiert haben. Ein Vorgang, der für die renommierten Tester ebenso selten wie bemerkenswert ist.
Kommentar, Gunnar Fehlau:
Paukenschlag in Berlin
Ach ja, die StiWa ist auch Medienschaffenden immer gerne behilflich, so wurde mir proaktiv ein neues Thema vorgeschlagen – Heike van Laak, Leiterin Abteilung Presse der Stiftung Warentest: „Ich würde Ihnen ein anderes Thema vorschlagen, die Qualitätssicherung der Fahrradhersteller!“
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