S‑Pedelecs: Der Motor für die Verkehrswende?
Montag, 12. Juni 2023
- S-Pedelec: Als S-Pedelecs werden Elektrofahrräder bezeichnet, deren Motorunterstützung bis 45 km/h reicht. Die Fahrzeuge gelten deshalb rechtlich nicht mehr als Fahrrad, sondern als Kleinkraftrad mit anderen Anforderungen, z. B. Helmpflicht, Versicherungskennzeichen, und sie dürfen nicht die Radwegeinfrastruktur nutzen.
S‑Pedelecs können für die Verkehrswende einen wichtigen Beitrag leisten – davon sind viele Expert:innen überzeugt. Doch der Marktanteil der Räder dümpelt in Deutschland seit Jahren auf niedrigem Niveau dahin. Was geändert werden muss und warum die Schweiz und Belgien schon viel weiter sind, besprach der pressedienst-fahrrad in einer Medienrunde.
Rund 11.000 S‑Pedelecs sind laut Marktzahlen des Zweirad-Industrie-Verbandes 2022 in Deutschland verkauft worden. Das sind lediglich 0,5 Prozent des gesamten Marktes an elektrifizierten Fahrrädern. Das Wachstum im Vergleich zum Vorjahr lag in diesem Segment bei 37,5 % und somit auf dem Niveau von E‑Cargobikes. Doch von einem S-Pedelec-Trend zu sprechen, ist momentan noch verfrüht – und dafür gibt es Gründe, wie Alexander Kraft, Pressesprecher beim Hersteller HP Velotechnik erklärt: „Das Image von S‑Pedelecs ist in Deutschland nicht das Beste – auch unter den Radfahrenden gibt es Vorbehalte.“ Da S‑Pedelecs nicht als Fahrrad (wie das Pedelec), sondern als Kleinkraftrad eingestuft werden, müssen rechtliche Anforderungen wie Versicherungskennzeichen, Helm- oder Führerscheinpflicht erfüllt werden. Zudem weist Kraft darauf hin, dass es eine verquere Gesetzeslage gibt: So dürfen S‑Pedelecs keine Radinfrastruktur nutzen, nicht einmal breite Radschnellwege, sondern müssen zusammen mit dem Automobilverkehr auf der Fahrbahn fahren. Dadurch steht den S‑Pedelecs im Verkehrsmix aktuell auch nicht der nötige Platz zur Verfügung. Um dies zu ändern, braucht es aus Sicht von Kraft insbesondere eins: politischen Willen. Doch dieser fehle aktuell.
Schweiz und Belgien als positive Beispiele
Deshalb ist Deutschland aktuell kein Hotspot für S‑Pedelecs. Die schnellen E‑Bikes bleiben hierzulande ein Nischenthema. Das hat aktuell Auswirkungen auf die Fahrradindustrie, weil sich manche Hersteller aus dem Markt wieder zurückziehen, wie Anja Herz vom Verkehrsclub Deutschland dieser Tage feststellen musste. „Die Firmen geben mittlerweile bei dem Thema auf, das ist schade.“ Die Märkte für S‑Pedelecs liegen jenseits der deutschen Grenze, was die Bedeutung des Themas für Branche und Verkehrswende jedoch nicht schmälern sollte. Als S‑Pedelec-Markt Nummer Eins in Europa gilt die Schweiz. Dort dürfen die Fahrzeuge je nach Bedarf den Radweg oder die Fahrbahn nutzen. „Hauptsächlich nutzen Pendler:innen die Fahrzeuge, die dafür das Auto stehen lassen. Das Gefahrenpotenzial ist dabei nicht höher“, erklärt George Merachtsakis, Gründer der schweizerischen S‑Pedelec-Marke Opium. Ivica Durdevic, CEO der Biketec GmbH, ein Unternehmen, das sich mit digitalen Schnittstellenlösungen für E‑Bikes beschäftigt, sieht gerade für längere Distanzen eine wachsende Nachfrage an schnelleren Rädern: „Sehr viele Nutzer:innen begnügen sich mit den 25 km/h, aber es gibt Zielgruppen und Segmente, die für längere Distanzen gerne schneller fahren würden. In der Schweiz haben wir gute Erfahrungen gemacht und gezeigt, dass S‑Pedelecs, Pedelecs und Fahrräder nebeneinander funktionieren können.“ Als weiteres positives Beispiel gilt Belgien. Nach einer Gesetzesänderung sind dort die Radwege außerorts für S‑Pedelecs frei gegeben. Innerorts können die S‑Pedelec-Fahrenden wählen, ob sie den Radweg oder die Fahrbahn nutzen möchten. Die Auswirkungen sind klar zu sehen. Bereits 2019 wurden in Belgien mehr S‑Pedelecs verkauft als in Deutschland. Und die Verkaufszahlen gehen seitdem stark nach oben. Allein im ersten Quartal 2023 wuchs der Anteil um 56,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Marktanteil bis zu 50 Prozent möglich?
Um in Deutschland das Thema weiter voranzutreiben, wurde die Allianz S‑Pedelec ins Leben gerufen. Hersteller arbeiten hier zusammen mit Vertreter:innen aus der Forschung, um Aufklärungsarbeit für S‑Pedelecs zu betreiben und in den Ministerien auf Bund- und Länderebene für das Thema zu werben. „In anderen Ländern funktionieren S‑Pedelecs ja auch, aber in Deutschland will man immer wieder das Rad neu erfinden“, sagt Andreas Kraus, CEO der Agentur Politik und Strategie, die das Projekt bei der politischen Kommunikation unterstützt. Kraus sieht gerade im ländlichen Bereich viele Möglichkeiten, S‑Pedelecs als Mobilitäts-Alternative zu etablieren. Strecken bis zu 30 Kilometern könnten bequem, umweltfreundlich und kaum langsamer als mit dem Auto mit den schnellen Fahrzeugen bewältigt werden – ideal also für das berufliche Pendeln. „Während die gängigen E‑Bikes bis 25 km/h eher für Spaßfahrten genutzt werden, sind S‑Pedelecs ein wirklicher Autoersatz und ein Bestandteil der Verkehrswende. Ein Marktanteil für die Fahrzeuge von 20 bis 50 Prozent ist vorstellbar, wenn sich politisch etwas ändert“, sagt Markus Riese, Gründer und Gesellschafter beim E‑Bike-Hersteller Riese & Müller. Er spricht sich deshalb für eine Freigabe der Radinfrastruktur für S‑Pedelecs aus: „S‑Pedelecs sind kurzfristig nicht der Motor für die Fahrradindustrie, aber wichtig für die Verkehrswende. Wenn man keine Alternativen zum Auto schafft, kann man keine Verkehrsflächen umgestalten, weil es die Menschen nicht akzeptieren.“
S‑Pedelecs unterstützen Emissionsreduzierung
Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es gerade im Verkehrssektor weitere CO2-Einsparungen – und das S‑Pedelec kann hier hilfreich sein. Wenn auf den aktuell gefahrenen Strecken unter 5 Kilometern alle Pkw-Fahrten durch Radfahrten ersetzt würden, ergäbe das eine Emissionsreduktion von 5,8 Millionen Tonnen pro Jahr. S‑Pedelecs als Autoersatz auch auf längeren Strecken bieten noch mehr Reduktionspotenzial. Die Daten und Prognosen stammen von einer Studie der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft bereits aus dem Jahr 2016. Kraus hofft deshalb, dass jetzt etwas passiert und bis Ende der aktuellen Legislaturperiode ein Zeichen von der Bundesregierung pro S‑Pedelec kommt. Denn er sieht noch einen weiteren Punkt: „Eine langfristige, nachhaltige Einbindung von S‑Pedelecs in die Verkehrsinfrastruktur erhöht die Verkehrssicherheit“. Denn nicht nur die S‑Pedelec-Fahrenden würden sich auf Radwegen außerorts sicherer fühlen, sondern auch die Autofahrenden müssten keine gefährlichen Überholmanöver eingehen, was die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden erhöhen würde.
Pilotprojekt in Deutschland erfolgreich
Erste Pilotprojekte in Deutschland gibt es bereits. Die Stadt Tübingen hat 2019 ein durchgängiges S‑Pedelec-Netz ausgewiesen. Radwege, Fahrradstraße und Wirtschaftswege sind für S‑Pedelecs freigegeben, um längere Umwege zu vermeiden. Zudem gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen an gefährlichen Knotenpunkten. Denn die Durchschnittsgeschwindigkeit von S‑Pedelec-Fahrenden ist rund 5,55 km/h höher als bei Pedelecs, wie eine Studie des Österreichischen Kuratorium für Verkehrssicherheit aus dem Jahr 2021 zeigt. Statt der möglichen 45 km/h fahren S‑Pedelec-Nutzer:innen im Durchschnitt aber „nur“ 28,87 km/h. Ein „Mitschwimmen“ im Kfz-Verkehr, wie bislang durch die Straßenbenutzungspflicht vorausgesetzt, ist deshalb schwierig. Die Studienmacher:innen sprechen die Empfehlung aus, Radverkehrsanlagen unter bestimmten Bedingungen für S‑Pedelecs freizugeben. In Deutschland können nun auch in anderen Kommunen in Baden-Württemberg S‑Pedelec-Netz aufgebaut werden. Aktuell will Konstanz dem Beispiel folgen.
Thomas Geisler | pressedienst-fahrrad
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