Reportage: Zwischen Massentourismus und Einöde durch die Toskana
Freitag, 19. Mai 2017
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Wie kaum ein anderes Radrennen verbindet der „Tuscany Trail“ Abenteuer und Kultur: 560 hügelige Kilometer nonstop quer durch die Toskana warten auf die Teilnehmer, Sightseeing historischer Städte inklusive. Klingt nach Cappuccino und Sonnenschein – ist es aber nicht. Während sich die Touristenmassen per Bus von einem Hotel zum nächsten chauffieren lassen, sind die Radfahrer bei Verpflegung und Übernachtung auf sich allein gestellt. Am 2. Juni startet die vierte Auflage des Selbstversorgerrennens. Zur Einstimmung berichtet Bikepacking-Experte Gunnar Fehlau über seine Teilnahme 2015.
Für Profis oder auch Genießer
„Isse eschte Monte“, lächelt mich Marco an, schaltet einen Gang hoch und geht lässig aus dem Sattel. In der nächsten Sekunde reißt eine Lücke zwischen uns. Der drahtige Mittdreißiger ist der lebendig gewordene Archetyp des italienischen Radsportlers: kurze schwarze Haare, feine Goldkette um den Hals, weiße Rennradsocken, Helm am Lenker und Colnago-Kappe auf dem Kopf. Der braun gebrannte Körper steckt in Klamotten des Lotto-Profistraßenteams und ist bis in die letzte Zelle austrainiert. Die kleine Lenkerrolle und die zierliche Hecktasche lassen auf eine gewichtsoptimierte Hotel-Strategie schließen. Marco ist auf Tempo gepolt. Schon ist er um die nächste Ecke verschwunden und hat mir rund 20 Höhenmeter abgenommen.
Touristenfalle Florenz
Die gerade „Strada Bianca“ – wie die berühmten hellen Schotterpisten der Toskana heißen – entlang des Flusses Arno scheint endlos. Der zähe Morgen mit dem letzten Tausenderpass in den Apuanischen Alpen bei Nieselregen und auch die matschige Abfahrt sind vergessen. Endlich purzeln die Meilen und auch die Sonne kommt raus. Ich versöhne mich mit dem Tag. Es geht geradewegs auf Florenz zu. Urplötzlich nimmt der Verkehr auf der Strada tumultartig zu. Das GPS leitet uns mitten in die Innenstadt hinein, direkt auf den Piazza del Duomo. Touristenmassen
Wir haben unser Bildarchiv aktualisiert. Dabei wurden ältere Bilder entfernt – darunter das hier verlinkte. Melden Sie sich einfach für passende Motive zum Artikel: 0551–9003377‑0.Glück in der Asphaltkurve: Kehren statt Katastrophe
Wir überqueren erneut den Arno und biegen unerwartet rechts direkt in den Hang. Die Beine brennen und wir müssen uns gehörig quälen. Die Route führt hoch zum weitläufigen Piazzale Michelangelo. Zu dumm nur, dass dieser geräumige Platz mit herrlicher Aussicht über Florenz zum Angelpunkt des Bustourismus mutiert ist: Heerscharen von Selfie-Stick-Kriegern marodieren rund um die Bronzestatuen und Souvenirbuden. Sie bremsen einmal mehr unsere Fahrt. Es gehört zu den goldenen Regeln des Massentourismus, dass es im Rücken der Touristen sehr schnell
Wir haben unser Bildarchiv aktualisiert. Dabei wurden ältere Bilder entfernt – darunter das hier verlinkte. Melden Sie sich einfach für passende Motive zum Artikel: 0551–9003377‑0.Kühler Wein auf heißem Stein
Nach San Gimignano, deren mittelalterlicher Stadtkern zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, schließen drei Mitstreiter zu uns auf. Gemeinsam preschen wir über die Strada Bianca und ziehen eine Staubwolke hinter uns her. Staub und Schweiß bilden eine Heldenkruste auf unseren Gesichtern. Doch die Augen leuchten voller Freude und Konzentration. Kiesel springt rechts und links und nimmt die Mitfahrer in Beschuss. Unsere Vorderreifen wühlen sich durch eine steile Kurve. Dann preschen wir mit 70 Sachen bergab, geradewegs auf eine T‑Kreuzung zu. Als wir unten stehen, glühen die Bremsscheiben. Allmählich haben wir uns an die Mischung aus Kultur und Natur des Tuscany Trails gewöhnt. Die Logik ist eingängig, der Rhythmus gleichförmig und die Abfolge immer gleich: Der Trail führt meist auf kleinen Landstraßen und Strade Bianche bergauf, bis eine kulturelle Sehenswürdigkeit erreicht ist. Dort folgt der Track der Touristenkarawane durch die historische Altstadt oder zu einer Burg. Anschließend geht es vorwiegend über Schotterpisten und manchen Singletrack wieder talwärts, bis der nächste Anstieg nach gleicher Art folgt. Zuweilen wird die Melodie durch eine längere Fahrt in der Ebene ein wenig variiert. Diese Dramaturgie ist kein Zufall, vielmehr hat Tuscany Trail-Initiator Andrea Borchi eine Mission: „Ich möchte den Menschen zeigen, wie schön die toskanische Landschaft ist und welch fantastische Kulturgeschichte wir haben.“
Erlebnis oder Ergebnis
Beim Selbstversorgerrennen gilt die Bruttozeit, also Fahrzeit plus Pausenzeit. Allem voran wird am Schlaf gespart. Ein brisantes Spiel: Wie viel Zeit kann ich sparen und wann beginnt der Schlafmangel das Tempo auf dem Rad zu bremsen? Wichtig ist, auch tagsüber keine Zeit zu verplempern: Pausen minimieren und möglichst optimal nutzen. Im Restaurant umgehend alle Gänge bestellen, erst anschließend ausziehen und auf Toilette gehen. Im Supermarkt bereits beim Aussuchen und Warten an der Kasse zu essen beginnen. Auf Fotostopps oder einen gemütlichen Kaffee in einem Altstadt-Café verzichten die Racer natürlich gänzlich. Spätestens hier teilt sich die Szene in zwei Lager. Die einen wollen so schnell wie möglich am Ziel sein. Sie entbehren jeglichen Komforts, der keinen Vortrieb bringt. Die anderen wollen einen Mix aus Abenteuer, Natur, Kultur und Sport genießen. Das liegt mitunter weiter auseinander. Nicht nur zeitlich: Die beiden Sieger
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