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„Berlin ist kein Vorbild, sondern hinterwäldlerisch“
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Donnerstag, 12. April 2018

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[pd‑f/tg] Wer kann besser über das Thema Radverkehr sprechen als jemand, der tagtäglich im Großstadtdschungel unterwegs ist? Philipp Elsner-Krause, Geschäftsführer des Accessoires- und Gadgets-Anbieters Fahrer Berlin, kämpft sich jeden Tag auf seinem Arbeitsweg quer durch die Hauptstadt. Der pressedienst-fahrrad sprach mit ihm über seine Erfahrungen und wo es bei der Radverkehrsförderung hakt.

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pd‑f: Hallo Philipp, du bist Berliner durch und durch und fährst seit Jahren täglich mit dem Rad zur Arbeit. Ist Berlin für dich ein Vorbild in Sachen Radverkehr?

Philipp Elsner-Krause: „Als Hauptstadt sollte Berlin definitiv eine Vorreiterrolle einnehmen. Aber die Stadtverwaltung ist viel zu träge, um etwas auf den Weg zu bringen. Es dauert alles ewig und es passiert gefühlt nichts. Ich fahre jetzt seit mehr als 30 Jahren mit dem Rad durch die Stadt. Es wurde schon immer viel über Radverkehrsförderung gesprochen, aber geändert hat sich seitdem nicht viel. Ein paar Radspuren bringen uns einfach nicht weiter. Ich sehe kleine Kommunen deshalb im Vorteil. Hier können viel schneller Lösungen umgesetzt werden. Wenn der Bürgermeister Lust auf das Thema hat, dann wird einfach mal etwas ausprobiert. Vernünftige Radverkehrslösungen können so entstehen, die dann wiederum Vorbild für Berlin sein können.“

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Ist das Engagement für Radverkehr also abhängig von einzelnen Personen?

„Absolut. Es funktioniert nur, wenn wichtige Personen dahinterstehen. Darauf hoffen auch immer die Radverbände und Lobby-Gruppen. Doch nur darauf hoffen ist nicht genug. Die Bundespolitik schickt zu Veranstaltungen und Diskussionen gerne einen Staatssekretär, der erzählt, wie viel Geld investiert wurde. Die finanziellen Mittel des Bundes wurden in den letzten Jahren nicht erhöht. In Berlin kommt noch das Problem der vielen Zuständigkeiten hinzu: Einzelne Bezirke investieren in ihre Radwege und pflegen diese, andere wiederum kümmern sich überhaupt nicht um die Instandhaltung. Ich merke das auf meinem Arbeitsweg. Auf einmal endet der gut ausgebaute Radweg an einer Brücke und führt auf der anderen Seite in einem schlechten Zustand weiter, weil sich die Zuständigkeit geändert hat. Diese Unstimmigkeiten gehen zu Lasten der Radfahrer.“

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Warum sollte es der gesellschaftliche Anspruch sein, mehr in den Radverkehr zu investieren?

„Da kommen die klassischen Argumente: weniger Lärm, bessere Luft, weniger Unfälle in der Stadt, etc. Oft gehört, aber man muss es auch immer wiederholen. Die viel propagierten E‑Autos lösen nicht das Platzproblem der Großstädte. Das Ziel muss sein, mehr Raum für Radfahrer und Fußgänger zu gewinnen, der bislang ungleich verteilt ist. Doch dafür muss auch ein Umdenken in der Bevölkerung stattfinden. Wenn man freiwillig auf das Auto verzichtet und auf das Fahrrad setzt, gilt man in vielen Regionen als arm. Dass das nicht stimmt und man durch das Fahrrad mehr Freiheit und Lebensqualität gewinnt, ist vielen unverständlich. Bis dieses Umdenken ankommt, ist es noch ein langer Prozess und das wird noch Jahre dauern.“

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Wie kann Radverkehr in Städten wie Berlin generell weiter verbessert werden?

„Flächendeckend Tempo 30 würde den Radverkehr schlagartig sicherer machen. Bei Tempo 50 fährt in Berlin eh jeder 70 km/h. Deshalb wäre eine Geschwindigkeitsbegrenzung ein guter Anfang und ein wichtiges Signal. Zweitens gibt es natürlich die klassische Forderung nach mehr Radwegen, die an konfliktreichen Punkten baulich von der Autofahrbahn getrennt sind. Auch ein Ausbau von Fahrradstraßen ist natürlich sinnvoll, geht aber leider oft über den Ideenstatus nicht hinaus. Dabei müssen es nicht einmal Neubauten sein, sondern es kann auch ausreichen, in alte Wege zu investieren. Man redet immer nur über Radschnellwege, aber wenn die alten Wege auf Vordermann gebracht würden, dann wäre auch schon viel geholfen.“

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Was muss sich für Radfahrer noch verbessern, damit flächendeckend mehr Leute gerade für den Arbeitsweg auf das Rad steigen?

„Ein großes Anliegen ist es natürlich, wenn Arbeitgeber an ihre radfahrenden Angestellten denken. Umkleidemöglichkeiten oder Duschen sind zum Beispiel ein erster Schritt. Wenn man einen Beruf hat, bei dem man im Anzug arbeiten muss, sollte man zumindest die Möglichkeit haben, die Radfahrkleidung zu wechseln. Auch können Anreize wie zusätzliche Urlaubstage helfen, mehr Leute zum Fahrradfahren zu animieren. Ein Vorteil des Radfahrens ist ja, dass die Angestellten gesünder leben und weniger Krankheitstage haben. Hinzu kommt, dass es alltagstaugliche und praktische Accessoires braucht. In der Stadt macht man auf dem Heimweg öfters einen zusätzlichen Einkaufsstopp. Deshalb sollte in der Tasche das Schloss auch schnell griffbereit sein. Diese Funktionalität ist extrem wichtig. Ich sehe auch immer mehr Leute, die eine Warnweste zum Radfahren anziehen, um einfach besser gesehen zu werden. Dabei muss man aber sagen, dass Warnwesten nicht gerade sexy sind. Unsere Aufgabe ist es, Produkte, die für mehr Sicherheit sorgen, auch modisch zu gestalten. Deshalb arbeiten wir gerade an einer Lösung für schicke Warnwesten. Diese Kombinationen aus Funktionalität und Mode sind ein wichtiger Schlüssel bei der Produktentwicklung, damit mehr Leute aufs Rad steigen.“

Gerne fällt in diesem Zusammenhang auch der Begriff Urban Cycling. Was kann man darunter verstehen?

„Urban Cycling basiert für mich auf vier Säulen. Erstens, man nutzt das Fahrrad als Verkehrsmittel zur Arbeit, also zum täglichen Pendeln. Zweitens, man dreht am Wochenende eine Runde mit Freunden oder Kindern. Drittens gehört die stetig wachsende Gruppe von Kurierfahrern dazu. Für diese drei Gruppen ist es wichtig, dass sie mit passenden, auf den Einsatzzweck abgestimmten Produkten ausgestattet werden. Und schließlich die Critical Mass als vierte Säule. Diese Massenorganisation macht in den Städten auf die schwierige Situation und vor allem die Verletzlichkeit von Radfahrern im Straßenverkehr aufmerksam.“

Nimmst du selbst an der Critical Mass teil?

„Klar, das ist mir ein wichtiges Anliegen, damit ich meine Interessen vertreten weiß. Ich spüre die Probleme eines Radfahrers am eigenen Leib. Uns ist als Unternehmen besonders daran gelegen, den gesamten Fahrradverkehr zu fördern – sei es mit unseren Produkten oder mit Teilnahmen an der Critical Mass.“

E‑Bikes gelten als Schlüssel-Fahrzeug bei der Verkehrswende. Lange Zeit waren die Räder in Berlin allerdings kaum existent. Hat sich das geändert?

„Das hat sich mittlerweile stark geändert. Ich bin überzeugt, dass gerade E‑Bikes in Zukunft eine große Rolle im urbanen Raum spielen werden. Ein wesentlicher Treiber der positiven Entwicklung ist dabei der neue Status als Lifestyle-Objekt. Gerade junge Leute nutzen stylische Räder, die zu ihrem Auftritt passen. Dazu haben viele Fahrradläden Image-Kampagnen gestartet, um das Thema weiter voranzubringen. Ein weiterer Aspekt sind E-Lastenräder, die Familien und Gewerbe im innerstädtischen Bereich als Autoersatz nutzen. Die schlechte Parkplatzsituation treibt viele Familien dazu, das Auto ab- und dafür ein Lastenrad anzuschaffen.“

Ein Lastenrad mit einem Faltrad auf der Ladefläche, abgestellt am Rande einer großen Stellfläche für Fahrräder.Richtiges Abstellen ist aber auch für Fahrradfahrer ein Thema …

„Das ist richtig und hier muss noch einiges passieren. Das Fehlen von passenden Abstellanlagen bremst den Radverkehr deutlich aus. Klassische E‑Bikes mit über 20 Kilogramm oder noch schwerere E‑Lastenräder sind schwer in den Keller zu bekommen. Dabei gibt es praktische Lösungen, wie abschließbare Abstellanlagen zur Miete. Für wenige Euro kann man so eine überdachte Parkmöglichkeit zu Hause und bei der Arbeit bekommen, die selbst Platz für Lastenräder bietet. Die Boxen nehmen auch nicht viel Platz weg, sondern können beispielsweise auf dem Gehweg aufgestellt werden. Solche überdachten Anlagen fehlen überall. Berlin ist hier wirklich hinterwäldlerisch. Selbst bewachte Parkhäuser für Radfahrer an Bahnhöfen gibt es kaum. Dabei lassen sich mit ein bisschen Mut und Gestaltungswillen Autoparkplätze leicht zu Fahrradparkplätzen umgestalten.“

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