Reportage – Der Sattelflüsterer
Donnerstag, 14. Juni 2018
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[pd‑f/krg] Sattel und Hintern müssen zusammenpassen, sonst wird das mit dem Radfahren nichts. Immer mehr Sattelhersteller bieten deshalb ein Ergonomie-Konzept mit Sitzknochenvermessung an. Das klingt nach Hightech, ist aber in der Praxis eher unkompliziert. Der Weg zum perfekten Sattel ist nur so lang wie die Distanz zum Fahrradfachhandel, hat Karen Rike Greiderer festgestellt. Für den pressedienst-fahrrad wagte sie den Selbsttest.
Wir haben unser Bildarchiv aktualisiert. Dabei wurden ältere Bilder entfernt – darunter das hier verlinkte. Melden Sie sich einfach für passende Motive zum Artikel: 0551–9003377‑0.Der Weg führt in den Fachhandel
Einen Bekannten auf meine Sitzprobleme angesprochen, rät er mir zu einem Besuch beim Fahrradhof Altlandsberg am östlichen Stadtrand von Berlin. Der Radladen sei bekannt für ergonomische Einstellungen und hätte sogar einen Experten im Haus, der sich nur um das Thema kümmert. Jedes noch so kleine Wehwehchen soll danach Vergangenheit sein. Ich bin etwas skeptisch, greife aber zum Telefon und vereinbare einen Termin. Das klappt ganz einfach und ich soll am besten noch am selben Tag zur Sitzknochenvermessung vorbeikommen. Experte Dominique Podlech ist immer mittwochs den ganzen Tag im Shop.
Wir haben unser Bildarchiv aktualisiert. Dabei wurden ältere Bilder entfernt – darunter das hier verlinkte. Melden Sie sich einfach für passende Motive zum Artikel: 0551–9003377‑0.Schnell und schmerzlos zum Sitzknochenabstand
Vor Ort begrüßt mich der Ergonomie-Fachmann, denn ich mir komplett anders vorgestellt habe. Statt eines grauhaarigen Herrens steht ein junger Mann vor mir. Meine Aufregung steigt. Ich erkläre auf dem Weg zur Sattelabteilung mein Anliegen: Perfekt passender Sattel gesucht. Bislang aber nur kleine Beschwerden bekannt. Alltagsradfahrerin mit Luxusgelüsten. „Gut“, antwortet Podlech knapp. „Dann setzen Sie sich bitte hier hin.“ Er streicht dabei das blaue Gel-Pad auf einem großen quadratischen Hocker glatt. „Rücken gerade! Zehen aufrichten!“ Ich folge. Warte einige Sekunden. „Sie können wieder aufstehen.“ Ehe ich einen Gedanken darauf richten kann, wie es sich anfühlt, auf dem flachen Gel-Kissen zu sitzen, sind wir schon fertig. Ein gutes Gefühl – trotz Sommerrock. Meine Befürchtungen bezüglich der Kleiderwahl waren unbegründet. Doch jetzt kommt die wichtige Frage: Wie ist das Ergebnis? Meine Sitzknochenabdrücke zeichnen sich auf dem Pad als zwei helle Stellen ab, auch noch Minuten nach der Vermessung. Unter dem Gel ist
Er präsentiert mir einen mittelgroßen, schlanken, unauffälligen Sattel und erklärt, warum der Selle Royal „Scientia M“ in Typ 2 mein Sattel in Verbindung mit meinem Brompton-Faltrad ist: Die Vertiefung in der Sattelmitte entspricht dem Sitzknochenabstand, der bei mir zwischen elf und 13 Zentimetern liegt. Durch meine Sitzposition mit einem Neigungswinkel im Rücken von ca. 60 Grad brauche ich einen Sattel aus der Moderat-Reihe. Ein kaum sichtbares Plateau soll meinem Problem des Rutschens am Sattel ein Ende setzen. Die gebogene Sattelstrebe räumt dem Sattel
Passender Sattel verhindert spätere Probleme
„Ein passender Sattel ist kein Luxus. Er ist die Basis“, sagt der Ergonom. Entspricht das Rad den ergonomischen Anforderungen des Fahrers und sind die Kontaktstellen optimal eingestellt, stellen sich eine gesunde Haltung, effiziente Kraftübertragung, geringere Ermüdungserscheinungen, Schnelligkeit und damit hoher Fahrkomfort wie von selbst ein. Schmerzen, selbst kleine Wehwehchen, sind Warnsignale. Der Körper teilt klar mit, dass etwas nicht passt. In unserer rastlosen Kultur, verortet zwischen Schmerzunterdrückung durch „Indianer-stark-sein“ und Wegschlucken durch „Mittelchen“, wird Schmerz eher selten als erster Schritt zur Genesung erkannt. Gerade beim Thema Fahrradsattel und Schmerz ist dieser Erkenntnisschritt jedoch ein darwinistischer Erfolgsgarant. Schmerzen, durch einen nicht passenden Fahrradsattel ausgelöst, haben weitreichende negative Konsequenzen auf das komplette somatische Fahrerlebnis: Es kommt irgendwann zu Problemen bei Knie oder Hüfte. Druck- und Reibstellen am Po, entzündete Haarwurzeln inklusive. Verspannungen in Rücken und Schulter, die wiederum Kopfschmerzen auslösen können. Darunter leidet der Fahrspaß. Am Ende bleibt das Rad stehen – weil Radfahren nicht gut tut. Deshalb gibt es Leute wie Dominique Podlech. Sie erkennen die Schmerzpunkte und wissen sie richtig zu behandeln. Echte Sattelflüsterer eben.
Wir haben unser Bildarchiv aktualisiert. Dabei wurden ältere Bilder entfernt – darunter das hier verlinkte. Melden Sie sich einfach für passende Motive zum Artikel: 0551–9003377‑0.Ein Sattelmodell, drei Cluster, drei Sitzpositionen
Ich möchte noch mehr über das Thema Ergonomie erfahren und nutze deshalb die Gelegenheit, um ein paar Fragen zu stellen. Ob ich diesen Sattel mit anderen teilen kann, frage ich. „Ja. Der Sattel ist übertragbar auf Rad und Mensch. Was zählt, sind der Neigungswinkel des Rückens beim Sitzen und der Sitzknochenabstand. Das Modell verkaufen wir am häufigsten – die Goldene Mitte …“ Für unseren autofreien und vielseitigen Familien-Fahrrad-Fuhrpark beutet das: Der Sattel passt neben dem Faltrad auch aufs täglich genutzte Lastenrad von Riese & Müller und schmeichelt dort dem Po des Partners. Unsere Sitzknochen befinden sich im gleichen Cluster. Überraschend finde ich, dass Selle Royal bei seiner ergonomischen Scientia-Reihe die Einteilung
Wir haben unser Bildarchiv aktualisiert. Dabei wurden ältere Bilder entfernt – darunter das hier verlinkte. Melden Sie sich einfach für passende Motive zum Artikel: 0551–9003377‑0.Ändere Räder – anderes Sitzen!
„ … und nein!“, vervollständigt der Experte seine Antwort bezüglich der Kompatibilität. „Je nach Neigungswinkel der Sitzposition variiert Ihr Sitzknochenabstand und damit die Kontaktpunkte zwischen Gesäß und Sattel. Je mehr sich die Wirbelsäule biegt, desto mehr verschiebt sich der Kontaktpunkt von Sitzknochen in Richtung Schambein.“ Einfacher ausgedrückt: Je sportlicher die Sitzposition, desto geringer der Sitzknochenabstand. Auf mein Brompton „S‑Type“ gehört damit das Moderat-Modell, auf mein Hollandrad von Winora das Relaxed-Modell. Der Neigungswinkel des Rückens liegt da nämlich bei 90 Grad. Bei sportlicheren Rädern mit einem Sitzwinkel von ca. 45 Grad bietet sich ein Athletic-Modell an.
Wir haben unser Bildarchiv aktualisiert. Dabei wurden ältere Bilder entfernt – darunter das hier verlinkte. Melden Sie sich einfach für passende Motive zum Artikel: 0551–9003377‑0.Darum zum Händler
Etwas verhalten stelle ich meine Frage nach den Kosten des Sattels und der Vermessung. Jetzt, wo ich meinen Sitzknochenabstand kenne, könnte ich natürlich prompt online ein Schnäppchen schießen. „Sie können den perfekten Sattel natürlich online bestellen. Wird dieser aber nicht richtig montiert und sind zusätzlich die weiteren Kontaktstellen nicht individuell auf Sie eingestellt, war Ihr Schnäppchen zwecklos. Ihr Körper ist klug. Er nimmt beim Fahren einfach eine Schmerzen-minimierende Haltung ein. Egal, wo’s zwickt. Und damit sind Verspannungen schon vorprogrammiert“, erklärt Podlech. Das leuchtet mir ein und wir machen uns auf zum letzten Schritt. Der Fachmann nimmt mein Faltrad und mich komplett ins Visier und fängt an zu optimieren, bis alles passt. Am Ende des Tages kosten die Vermessung und die Beratung nichts extra. Für den Sattel bezahle ich 79,90 Euro. Ich könne den Sattel nach 14 Tagen Testfahren sogar kostenfrei zurückgeben.
Mein Fazit: Der Besuch beim Spezialisten ist unglaublich sinnvoll. Er ist der Ergonomie-Experte und formt aus Rad und Fahrer eine symbiotische Einheit. Auf meiner Weiterfahrt zum nächsten Termin nach Berlin genieße ich den feinen Unterschied und danke dem Sattelflüsterer.
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