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Komfortabler E‑Biken dank Schaltautomatik
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Dienstag, 12. Dezember 2023

In der Fahrradsaison 2024 rückt das Thema Schaltautomatik am Fahrrad immer stärker in den Fokus. Eine wachsende Anzahl von Anbietern verbaut die Technik und es kommen so mehr E‑Bikes mit Halb- und Vollautomatikgetrieben auf den Markt. Aber was verbirgt sich dahinter und wie können Radfahrende davon profitieren? Der pressedienst-fahrrad hat sich umgehört und Infos gesammelt.

Ein Radfahrer steht an einer Ampel, die gerade umschaltet. Jede Radfahrende kennt vermutlich die Situation: Man rollt entspannt auf eine rote Ampel zu und bleibt an der Haltemarkierung stehen. Wenn man bei Grün wieder losfahren möchte, ist aber noch ein hoher Gang eingelegt. Das Anfahren ist entsprechend mühsam, man kommt ins Schwitzen. Doch außer vorausschauendem Schalten gibt es auch eine technische Lösung für das Problem: automatische bzw. intelligente Schaltungen. Sie sorgen dafür, dass Radfahrende in solchen Situationen immer in den passenden Gang kommen – und zwar bevor sie in die Pedale steigen.

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Elektronische Schaltung als Voraussetzung

Um zu verstehen, worum es überhaupt geht, lohnt ein Blick auf die Funktionsweise der Schaltungen: Immer öfter finden sich am Fahrrad bzw. speziell am E‑Bike statt mechanischer Schaltungen elektronische Gangwechsler. Diese übertragen Schaltbefehle per Funk oder Kabel. Der Vorteil: Die Schaltungen arbeiten schneller, zuverlässiger und wartungsärmer. Auch können individuelle Schaltlogiken eingerichtet werden, um die Schaltung besser auf die Fahrweise der Radfahrenden abzustimmen. Solche „intelligenten“ Schaltungs-Features sind der nächste Schritt in der Entwicklung der Schaltautomatiken. Eine Möglichkeit ist dabei die sogenannte Halbautomatik, wie das oben genannte Beispiel an der Ampel zeigt: Das System wechselt unter bestimmten Bedingungen automatisch in einen vordefinierten Gang, um beispielsweise das Anfahren zu erleichtern. Der nächste Schritt ist dann die Vollautomatik: Radfahrende schalten nicht mehr selbst, sondern das System wählt abhängig von einer im Vorfeld definierten Trittfrequenz die passenden Gänge. So soll stets der perfekte Schaltpunkt erreicht werden. Die Hersteller benutzen zwar unterschiedliche Bezeichnungen für diese Features, im Kern dreht es sich aber immer um diese beiden Funktionen. Im Detail lassen sich zwar gewisse Unterschiede erkennen, aber allen Schaltungen ist gemein, dass man bei Bedarf die automatischen Funktionen abschalten und wieder manuell schalten kann.

Pinion: Von Smart-Shift zur Motorgetriebeeinheit

Ein Beispiel ist der Zentralgetriebespezialist Pinion, der sein Konzept „Smart-Shift“ auf der Eurobike 2022 vorstellte. Dabei handelt es sich um eine elektronische Schaltung mit den intelligenten Schalt-Features „Start-Select“ für den richtigen Gang beim Anfahren und „Pre-Select“, wofür man die gewünschte Trittfrequenz einstellt und das System den Gang wechselt, wenn man nicht pedaliert. „Wenn man beispielsweise einen Trail oder eine Straße herunterfährt, wechselt das System automatisch in einen höheren Gang, damit man beim Einsetzen des Tretens gleich die richtige Trittfrequenz hat und nicht ins Leere tritt“, erklärt Pinion-Produktmanager Niklas Henkel. Das System verarbeitet dabei die Daten verschiedener Sensoren, insbesondere des Speed- und Kadenzsensors, um den optimalen Gang zu finden. Je nach Modell stehen neun oder zwölf Gänge zur Wahl. „Wir haben durch die Sensorik die Möglichkeit, in weniger belasteten Situationen zu schalten“, so Henkel. Dadurch soll der Gangwechsel sehr harmonisch ablaufen und der Verschleiß der Produkte verringert werden. Der Gangwechsel während der Fahrt findet über einen kleinen Schalthebel statt und wird elektronisch gesteuert. Das System ermöglicht somit äußerst schnelle Gangwechsel, die kaum spürbar sind. Der Gangwechsel dauert laut Henkel gerade einmal 0,2 Sekunden. Das erste Modell mit der Smart-Shift-Technologie brachte Pinion zusammen mit Hersteller Stromer auf den Markt, auch mit Mahle-Hinterradnabenmotoren und dem Neodrives-System funktioniert das System mittlerweile.

Der nächste Entwicklungsschritt für Pinion war die 2023 präsentierte Motor-Gearbox-Unit, kurz MGU. Die Stirnradgetriebe der smarten Schaltung sind dabei mit einem eigens entwickelten Elektromotor kombiniert. Alle Antriebskomponenten werden in einem Gehäuse, einer Einheit, verbaut, was Vorteile bei der Wartung bringen soll, insbesondere, wenn das System mit Riemenantrieb genutzt wird. „Wir geben für die MGU einen Ölwechsel alle 10.000 Kilometer an. Wir haben die Wartung auf ein neues Level gehoben“, so Henkel. Von diesen Entwicklungen profitieren können laut Henkel eigentlich so gut wie alle Radfahrenden: „Wir sehen die MGU nicht als die Lösung, die die beste in einem Segment ist, sondern sie kann überall eingesetzt werden.“ Auch in Kombination mit Hinterradnabenmotoren überzeuge die Smart-Shift-Technologie mit einer hohen Wartungsarmut und Zuverlässigkeit. Ein zusätzlicher Vorteil: Ab kommender Saison wird es Smart Shifting auch für unmotorisierte Räder geben, was gerade für Mountainbiker:innen äußerst interessant werden könnte. „Im Downhill-Bereich spielt die Funktion ‚Pre-Select‘ eine große Rolle. Die Fahrer:innen müssen sich keine Gedanken um den richtigen Gang machen“, beschreibt Henkel die Vorteile. Die Räder brauchen dafür eine eigene Stromversorgung in Form einer kleinen Lithium-Ionen-Zelle und eine Aufnahme für das Pinion-Getriebe.

Sram: Kettenschaltung mit Automatikfunktion

Ein anderes Konzept wählt der US-deutsche Schaltungsspezialist Sram. Das Unternehmen hat bereits 2019 mit einer Funkschaltung für Aufsehen gesorgt und bringt nun auf Basis der Schaltkomponenten mit der „Eagle Powertrain“ eine Automatikschaltung speziell für E‑Mountainbikes auf den Markt. Die Kettenschaltung bleibt dabei in ihrer Grundfunktion erhalten, d. h. die Schaltungskomponenten liegen offen, sind leicht und sehr effizient. „Wir glauben fest daran, dass das für den sportiven Mountainbike-Einsatz nach wie vor das Maß aller Dinge ist“, sagt Moritz Dittmar, Pressesprecher von Sram. Das Besondere an dem System: Es schaltet während des Pedalierens vollautomatisch. Radfahrende müssen dafür lediglich aus sechs Stufen die gewünschte Trittfrequenz festlegen. Während der Fahrt ist es beispielsweise möglich, von einem sportlichen in einen gemütlichen Bereich zu wechseln. „Wir versuchen, Fahrende in ihrem komfortablen Trittfrequenz-Fenster zu halten. Das System schaltet dadurch deutlich öfter und nutzt die vorhandenen Gänge besser aus“, erklärt Dittmar. Aber: Die Schaltung passt sich nicht mit der Zeit automatisch an das Fahrverhalten der Fahrenden an. „Natürlich haben wir das ausprobiert, haben aber gemerkt, dass man dann in erster Linie der Automatik die menschlichen Fehler anlernt“, so Dittmar.

Deshalb habe man viele Testfahrten unternommen, um einen Schaltalgorithmus zu entwickeln, der dem möglichst idealen Schaltungseinsatz am nächsten kommt: „Wir wollen den Mountainbiker:innen nahelegen, dass die Trittfrequenz gerne ein wenig höher sein darf. Das ist auch gut für den Motor“, erklärt Dittmar – und verweist damit auf den besseren Trainingseffekt einer höheren Trittfrequenz. Gerade Einsteiger:innen sieht er darum als interessante Zielgruppe für das Produkt. Neben der sogenannten „Auto-Shift“-Funktion verfügt das Sram-System auch über eine „Coast-Shift“-Funktion, die während des Rollens den Gang wechselt. Als Motorenpartner holte sich Sram Brose mit an Bord. Der Motor hat nur zwei Unterstützungsstufen. „Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass mehr Unterstützungsstufen eine Ablenkung sind und für die allermeisten Leute zwei ideal sind. Diese kann man sich via App konfigurieren und an die individuellen Bedürfnisse anpassen“, erklärt der Sram-Sprecher.

Brose: automatisches Schalten in Konzeptphase

Auch in Berlin bei Brose tüftelt man aktuell an einer Automatikschaltung. In einer Konzeptstudie wurde bei der Eurobike 2023 eine Motorgetriebeeinheit auf Basis eines CVT-Getriebes vorgestellt. Die Abkürzung steht für „Continuous Variable Transmission“, also ein stufenloses Schaltsystem, das über endlos viele Gänge verfügt. „Das bedeutet, dass die Schaltvorgänge nicht nur automatisch erledigt werden, sondern sie für die Radfahrenden nicht einmal mehr spürbar sind. Das ist ein großer Unterschied zur bisherigen Automatikschaltung, weil kein Drehmomentabfall erfolgt“, berichtet Florian Sack aus der Entwicklungsabteilung von Brose. In der Einheit sind zwei Elektromotoren eingebaut, die durch gegenseitiges Drehen mit einem Planetengetriebe die Gänge stufenlos einstellen. Durch den Wegfall der externen Schaltungskomponenten sei das System weniger wartungsbedürftig, leichter und kostengünstiger. Sack sieht den Anwendungsbereich für diese Schaltung hauptsächlich im City- und Trekkingbereich: „Aus Nutzersicht muss man fragen: Wo ergeben sich die meisten Vorteile? Und die sehen wir im City- und Trekkingbereich, weil sich die Fahrenden komplett auf den Verkehr konzentrieren können.“ Generell sieht der Produktentwickler den Punkt, dass es den einen Motor für alle Anwendungen in Zukunft nicht mehr geben wird, sondern stärkere Ausdifferenzierungen je nach Einsatzgebiet folgen.

In der praktischen Anwendung setzt Brose ähnlich wie Sram auf zwei unterschiedliche Fahrmodi, genannt „Autoshift“ für das komplett automatische Schalten und „Motorshift“ für das Schalten während des Rollens. Gemessen wird über Sensoren, individualisiert über die Trittfrequenz. Durch die feinen Gangabstufungen sei das System noch besser auf den eigenen Fahrstil einzustellen. „Für den Endkunden muss es am Ende dasselbe Gefühl sein. Er muss merken: Das Fahrrad schaltet automatisch und ich habe immer den perfekten Zeitpunkt zum Schalten. Das ist ein super Komfort-Feature – egal ob am Trail oder in der Stadt“, meint Sack. Das bisherige Feedback ist positiv, deshalb geht das Unternehmen von einer Markteinführung der Antriebsgetriebeeinheit in der Saison 2025 aus.

Zukunft des Marktes

Die drei genannten Beispiele zeigen, dass beim Thema automatisches Schalten viel Potenzial vorhanden ist. Der Markt wächst. Auch die Marktführer Bosch und Shimano bieten Lösungen an. Allerdings sind die Produkte preislich noch im Premiumsegment angesiedelt. Die Systeme lassen sich auch nicht nachrüsten, sondern brauchen immer ein neues Rad. Eine interessante Frage in der Entwicklung wird sein, ob die Systeme in Zukunft auch eine Schnittstelle zu Navigations-Apps bekommen, dadurch vorausschauend fahren und die Gangwechsel noch besser optimieren können.

Thomas Geisler | pressedienst-fahrrad

Weitere Informationen zum Thema und wie die Experten die weiteren Entwicklungen einschätzen, finden Sie in unserem Podcast.

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