Schnellschuss oder Geistesblitz? Wenn die Dynamopflicht für Fahrräder fällt
Mittwoch, 3. Juli 2013
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Radsportler freuen sich, Interessenverbände blieben außen vor, Experten äußern Bedenken … die mögliche Novelle der StVZO schlägt Wellen. Der pressedienst-fahrrad hat auf die Details der Novelle und Argumente geschaut und bezieht Stellung: Eine Novellierung ist überfällig, der vorliegende Entwurf wäre jedoch ein Rückschritt.
Göttingen, 03.07.2013; Am kommenden Freitag beschließt der Bundesrat wahrscheinlich eine Novelle der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Können Rennräder und Mountainbikes nun ohne Dynamolichtanlage legal betrieben werden? Diese Aussicht sorgt für Optimismus im Sport und in Teilen der Branche. Doch wer sich die Details des Gesetzesentwurfs genauer ansieht, wird die Stirn runzeln.
Was genau steht im neuen Gesetz?
Der Text im Original:
„§ 67 wird wie folgt geändert:
1. a) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 1a eingefügt:
„(1a) Abweichend von Absatz 1 dürfen für den Betrieb der aktiven lichttechnischen Einrichtungen auch wiederaufladbare Energiespeicher als Energiequelle verwendet werden. Über eine Anzeige muss dem Fahrer die Kapazität sinnfällig angezeigt werden. Abweichend von Absatz 9 müssen Scheinwerfer und Schlussleuchte nicht zusammen einschaltbar sein.“
2. b) Absatz 11 wird wie folgt gefasst:
„(11) Scheinwerfer und Schlussleuchte mit wiederaufladbaren Energiespeichern müssen nicht fest am Fahrrad angebracht sein; sie sind unter den in § 17 Absatz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung beschriebenen Verhältnissen vorschriftsmäßig am Fahrrad anzubringen und zu benutzen.“ ‘
Begründung:
Die Verwendung von wiederaufladbaren Energiespeichern (Akkus etc.) für den Betrieb von Scheinwerfer und Schlussleuchte an Fahrrädern gewährleistet in Verbindung mit einer sinnfälligen Kapazitätsanzeige grundsätzlich das gleiche Sicherheitsniveau wie die Verwendung einer Lichtmaschine (Dynamo) als Energieversorger. Eine sinnfällige Kapazitätsanzeige versetzt den Nutzer in die Lage, vor Fahrantritt festzustellen, ob die Restnutzungsdauer seiner Akkus für die vorgesehene Fahrt noch ausreichend ist. Zudem gewährleisten akkubetriebene Scheinwerfer und Schlussleuchten eine gute Erkennbarkeit der Fahrradfahrer, da die Intensität der Lichtabstrahlung unabhängig von der Fahr- geschwindigkeit gleichmäßig hoch ist und auch im Stand erfolgen kann. Daneben wird ihnen – wie das Konsumverhalten der Radfahrer dokumentiert – allgemein eine höhere Akzeptanz entgegengebracht, die offenbar u. a. daraus resultiert, dass der Betrieb der Beleuchtung mit Akkus – im Gegensatz zu insbesondere älteren Dynamos – keine fahrdynamisch wirksamen Leistungsverluste mit sich bringt.
Eine sinnfällige Anzeige der Energierestkapazität ist bei derzeitigen Leuchten unterschiedlich gelöst (Balkenanzeige, farbige Diodenanzeige etc.). Eine exakte Vorgabe ist erst nach Notifizierung durch die EU möglich.
Die Praxis zeigt, dass bereits eine nennenswerte Anzahl allgemeiner Gebrauchtfahrräder im Straßenverkehr mit batterie/akkubetriebener Beleuchtung (ohne Dynamo) ausgerüstet ist. Die Fahrradfahrt mit funktionierender moderner Akkubeleuchtung wie die Fahrt gänzlich ohne Beleuchtung unterliegen dem gleichen Tatbestand der Ordnungswidrigkeit.
Zwar verpflichtet das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Batterien und Akkumulatoren vom 25. Juni 2009 die Hersteller und Vertreiber von Batterien, dass der Endverbraucher Batterien über ein Rücknahmesystem zurückgeben kann, jedoch ist aufgrund der Rücklaufquoten von nicht mehr nutzbaren in den Haushalten anfallenden Batterien (ca. 43 Prozent der in Verkehr gebrachten Neubatterien (Stand 2011)) davon auszugehen, dass ein Großteil der nicht mehr nutzbaren Batterien nach wie vor über den Hausmüll entsorgt werden. In Hinblick auf Umweltschutzaspekte erscheint somit die Forderung wiederaufladbarer Energiespeicher für die Fahrradbeleuchtung als angemessen.“
Der pressedienst-fahrrad hat zum Gesetzestext und der Begründung die verschiedenen Aspekte und Argumente genauer beleuchtet und stellt fest: Eine Novellierung ist längst überfällig, der vorliegende Entwurf wäre jedoch ein Rückschritt. Hier nun die Hintergründe und Ausführungen:
Zu begrüßen: Radsportler und Pedelecs bekommen Chance auf Legalität
Nur bedingt richtig: Legalisieren die Neuerungen aktuelle Akkubeleuchtung?
Zwar gibt es ein großes Angebot an Akku- und Batteriebeleuchtung am Markt, diese entspricht jedoch nicht der neuen Gesetzgebung. Denn zugelassene Leuchten müssen akkubetrieben sein und über eine Ladestandanzeige verfügen. Damit sind alle Leuchten mit genormten Batteriefächern weiterhin illegal, denn nur eine exakt auf das Speichermedium abgestimmte Elektronik erlaubt die präzise Kapazitätsmessung. Während es einige Frontleuchten am Markt gibt, die allen neuen Anforderungen entsprechen, gibt es gegenwärtig faktisch kein solches Rücklicht.
Unspezifiziert: Wie soll das neue Licht aussehen?
Die Novelle verlangt die Zulassung durch das Kraftfahrt-Bundesamt, erst diese legalisiert die Verwendung einer Fahrradbeleuchtung. Allerdings sind die Technischen Anforderungen (TA) noch nicht formuliert. Mancher Experte sieht dies als Indikator für die Unausgegorenheit dieses Vorstoßes des Bundesrates. Damit entsteht bis auf weiteres ein rechtsfreier Raum, in dem erst einmal eigentlich nur die Dynamobeleuchtung eindeutig legal ist.
Längst vorbei: Nur Batterieleuchten funktionieren zuverlässig
Umstritten: Sorgt die Neuregelung für mehr Sicherheit?
Die Option Akkubeleuchtung könnte mehr Radfahrer zum Kauf einer Beleuchtung motivieren, die keinesfalls zur Dynamobeleuchtung greifen würden. Die Skeptiker entgegnen: Ein Radler, der gegen das Gesetz auf eine Dynamobeleuchtung verzichtet hat, wird nicht durch die Akku-Freigabe zur Gesetzestreue motiviert. Es lohnt ein Blick in die Schweiz: „Der Hauptgrund für lichtlose Fahrten in Dämmerung und Dunkelheit liegt weniger bei technischen Defekten an der Beleuchtungsanlage als vielmehr darin, dass Radfahrende gar kein (Steck-)Licht montiert haben.“ (bfu-Sicherheitsdossier 08 Fahrradverkehr, Bern 2012, S. 120). Die Ergebnisse einer entsprechenden Deutschen Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums waren fürs Frühjahr 2013 angekündigt, stehen aber noch aus. Dass nun eine Gesetzesnovelle noch vor Veröffentlichung der Erkenntnisse angestrebt wird, überrascht nicht nur Fachleute.
Hier krankt der Prozess: Niemand sprach mit Interessengruppen
Es verwundert, dass bei einer Novellierung, die mehr als 30 Millionen Bundesbürger als regelmäßige Radfahrer betrifft, weder Verbraucherverbände noch die Industrie an der Ausarbeitung beteiligt wurden. „Sodass die vielfältigen Einflüsse einer solchen Änderung der Vorschriften auf die Verkehrssicherheit nicht ausreichend berücksichtigt“ werden konnten, erklärt Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verband (www.ziv-zweirad.de).
Statistik im Detail: Unfallursache Licht seltener als vielfach geglaubt
Radler ohne ausreichende Beleuchtung sind bei Dämmerung und in der Dunkelheit riskant unterwegs. Die gute Nachricht: Deutschlands Radfahrer sind gewissenhafter als es die häufig reißerische Berichterstattung vermuten lässt. Laut einer Auswertung der Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2010 durch den Verbund Service und Fahrrad (www.vsf.de) waren lediglich 1,74 Prozent (1.239) aller Unfälle mit Personenschaden und Radfahrerbeteiligung (71.103) auf „technische Mängel als Unfallursache“ zurückzuführen. Gerade einmal 522 Unfälle (0,73 Prozent) hatten laut Statistischem Bundesamt die Unfallursache Licht. Albert Herresthal, Geschäftsführer des VSF, schließt daraus, „dass die aktiven Radler bei Dämmerung und Dunkelheit in der Regel mit guter und funktionstüchtiger Beleuchtung unterwegs sind, beziehungsweise ihre Fahrweise ihrer Beleuchtungssituation anpassen.“
Akkuoption macht Räder günstiger – Branchenkenner zweifeln
Fragwürdig: Akkubeleuchtung ist gut für die Umwelt
Die Wortführer der Gesetzesinitiative argumentieren mit dem Umweltschutz: Die Akku-Pflicht sorge für weniger Batterie-Müll. Das stimmt im direkten Vergleich dieser beiden Energiequellen. Allerdings werden beide Systeme von der Umweltverträglichkeit des Dynamosystem um Längen geschlagen. Zusätzlicher Trumpf: Die Umweltbilanz des Dynamolichts verbessert sich bei stärkerer Radnutzung.
Stimmt nicht: „Akkus sind sowie so heller“
Wieder einmal: Neues Gesetz bleibt hinter dem Stand der Technik zurück
Nicht zu erkennen: Das Ziel der neuen Gesetzgebung
Weder mit Bezug auf Verkehrssicherheit noch Umweltschutz wird die Gesetzesänderung von Experten als schlüssig oder zielführend eingestuft. Auch ist kein politisches Ziel durch die Gesetzesinitiative erkennbar. „Dass die Beleuchtungsvorschriften erneuert werden müssen, steht außer Frage. Der Vorschlag aus Niedersachsen ist aber wenig durchdacht und voller Widersprüche – kurz: ein absoluter Schnellschuss“, sagt Gereon Broil vom ADFC. Sinnvoll wäre es gewesen, „eine praxisgerechte Lösung für MTBs, Sporträder und Pedelecs zu erarbeiten, die diese von der Dynamopflicht befreit und exakte Vorgaben zur Lichtausbeute und Leuchtdauer macht“, erklärt Gunnar Fehlau, Leiter des pressedienst-fahrrad. Paul Hollants, Geschäftsführer des Liegeradherstellers HP Velotechnik, fordert: „Gerade mit Blick auf die immer wichtiger werdende E‑Mobilität im Fahrradbereich sollte man den Kunden mit klaren Regeln helfen.“
Kommentar:
„Die Gesetzesnovelle ist ein Schnellschuss, der weder ein klares politisches Ziel erkennen lässt, noch adäquat die Nutzungsrealität von Fahrrädern in Verkehr, Freizeit und Sport abbildet. Weiterhin ignoriert das Gesetz den aktuellen Stand der Beleuchtungstechnik fürs Fahrrad. So wünschenswert eine Überarbeitung des Gesetzes ist, so sehr sollte dies gewissenhaft und unter Anhörung aller relevanten Interessengruppen passieren. Es geht nicht alleine um das Fahrrad des Einzelnen, es geht um sichere Mobilität und Freizeitgestaltung einer Gesellschaft. Fahrradtechnik ist kein Sommerloch-Thema!“
Links zur weiteren Recherche:
Direkt-Ticker: ADFC-Meldung zum möglichen Ende der Dynamo-Pflicht Link
Direkt-Ticker: ZIV-Meldung zum möglichen Ende der Dynamo-Pflicht Link
Direkt-Ticker: Busch & Müller-Info zum möglichen Ende der Dynamo-Pflicht Link
Externer Link: VSF-Standpunk zur Novelle Link
Externer Link: Die Gesetzes-Novelle im Original-Text (Seite 7/8) Link
Externer Link: Taz-Kommentar zur Licht-Novelle Link
Externer Link: ADFC detaillierte Analyse zur möglichen neuen Gesetzgebung Link
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