
Auf zwei Rädern in die Zukunft: Das Fahrrad erobert die Stadt zurück





Donnerstag, 7. Mai 2015
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Unsere Städte sind von Menschen für Menschen erbaut. Tatsächlich aber scheint es vielerorts, als seien Autos ihre wahren Bewohner. Es wird Zeit, dass der Mensch den öffentlichen Raum zurückerobert. Doch in Deutschland passiert noch viel zu wenig, meint der pressedienst-fahrrad.
[pd‑f/ht] Als „Jäger auf der Pirsch im Dschungel der Großstadt“ inszenierte kürzlich ein deutscher Automobilhersteller in einer umstrittenen Kampagne sein neuestes Modell. Dank „zahlreicher Assistenzsysteme“ solle dem Fahrer kaum etwas entgehen, weder die „angesagte Location“ noch – Achtung! – „ein unachtsamer Radfahrer“. Etwas mulmig wird es Fahrradfahrern bei solchen Formulierungen. Was als Schutz für schwächere Verkehrsteilnehmer gemeint sein mag, mutet hier eher wie eine Art Zielerfassung an – und natürlich sind es die Radfahrer, die nicht aufpassen.
Das Fahrrad nimmt bei der Neuausrichtung urbaner Mobilität eine wichtige Rolle ein. Das liegt im Übrigen weniger daran, dass Radfahren gut fürs Klima und die Gesundheit ist. Aufs Velo steigen die Menschen, weil es praktisch ist. Zeitersparnis ist dabei ein wichtiges Kriterium – und tatsächlich ist nach Angaben des Umweltbundesamtes das konventionelle Fahrrad auf Strecken bis einschließlich fünf Kilometer Länge und das Pedelec sogar bis knapp zehn Kilometer letztendlich schneller als das Auto.
Trotzdem finden die meisten Autofahrten gerade in diesem Entfernungsbereich statt. Das wirft die Frage auf, was Menschen trotz Zeitersparnis davon abhält, das Fahrrad zu nutzen. Ein Erklärungsversuch lautet, dass viele lieber ins Auto steigen, weil sie sich mit dem Rad im Straßenverkehr nicht sicher fühlen. Untermauert wird diese Aussage durch Ergebnisse des ADFC-Fahrradklimatests 2014, bei dem die Mehrzahl der Befragten schlechte Noten für die gefühlte Sicherheit vergab. Leider nicht nur ein subjektiver Eindruck: Im letzten Jahr verunglückten im Vergleich zum Vorjahr zehn Prozent mehr Fahrradfahrer auf deutschen Straßen. Der Anstieg wird zwar auf ein relativ hohes Radverkehrsaufkommen im erfassten Zeitraum zurückgeführt, verdeutlicht aber, dass die Infrastruktur die gestiegene Radverkehrsdichte nicht aufgefangen hat. Verschiedene internationale Studien belegen nämlich nicht nur niedrigere Unfallraten bei einem höheren Radverkehrsanteil, vielmehr sinkt tendenziell sogar das absolute Unfallrisiko. So ist in Kopenhagen zwischen 1996 und 2010 die Zahl der Radunfälle um 70 Prozent zurückgegangen, obwohl der Radverkehr im gleichen Zeitraum um rund 20 Prozent zugenommen hat.
„Es gibt weiterhin viel zu tun“, mahnt Andreas Hombach von WSM, „und das heißt in Deutschland noch immer, erst einmal die Hausaufgaben ordentlich zu erledigen, bevor man sich Hochglanzprojekten zuwendet.“ Beheizte Radwege wie in den Niederlanden oder spektakuläre Fahrradbrücken wie in Kopenhagen könnten nur das Sahnehäubchen sein, wenn – so wie dort – die Grundversorgung steht. „Funktionell ist die Devise, nicht sexy. Die Lösungen müssen nicht laufstegtauglich sein“, ist der WSM-Mann überzeugt. Die Realität ist in erster Linie schlicht verzinkt – ungeachtet der Tatsache, dass die Stadtmöblierer aus dem Bergischen Land ihre Fahrradabstellanlagen auf Wunsch sogar knallbunt liefern.
Tatsächlich sind viele Maßnahmen trotz großer Wirkung recht einfach, schnell und vor allem kostengünstig umsetzbar. In Kopenhagen etwa verweist man immer wieder auf den Erfolg großer, abgesetzter Halteflächen vor Ampeln. Schon früh hat die dänische Hauptstadt zudem ein klares Signal gesetzt, indem die Fahrradwege im Winter zuerst geräumt und nicht wie hierzulande zuletzt, gar nicht oder noch schlimmer: beim Räumen der Autofahrbahn erst richtig zugeschaufelt werden. Die Öffnung von Sackgassen und Einbahnstraßen in Gegenrichtung, um kurze, direkte Radstrecken getrennt von den (Auto-)Hauptverkehrsadern zu schaffen, erfordert ebenfalls kaum finanziellen Aufwand. Gleiches gilt für die Schaffung von mehr Tempo-30-Zonen. Ein konsequentes Vorgehen gegen zugeparkte Radwege wiederum dürfte sich nicht nur selbst finanzieren, sondern sogar einiges an zusätzlichen Mitteln in die öffentlichen Kassen spülen.
Natürlich werden die Kommunen auch richtig Geld in die Hand nehmen müssen. Die Entflechtung der Verkehrsarten, das Anlegen wirklich breiter, komfortabler, klar erkennbarer Radwege oder die flächendeckende Bereitstellung sicherer und leicht zugänglicher Fahrradstellplätze in den Innenstädten erfordert neben den klar bezifferbaren Investitionen nicht zuletzt planerischen Einsatz und politischen Willen. Der reale Effekt solcher Maßnahmen ist zwar schwer berechenbar, doch nicht nur in Kopenhagen ist man sicher, dass sich jeder in die Förderung des Radverkehrs investierte Euro mehr als auszahlt – sei es in puncto Lebensqualität, allgemeiner Gesundheit der Bevölkerung oder sinkender Unfallzahlen. Sogar Autofahrer – die, nicht zu vergessen, oft selbst Fahrradfahrer sind – profitieren davon, wenn sich Kraft- und Pedalverkehr nicht länger gegenseitig ausbremsen. „Und nicht zuletzt leben unsere Kinder, die den dramatischen Unterschied zwischen Spielplatz und Straße nicht so wahrnehmen wie wir Erwachsene, in einer verkehrsberuhigten Stadt sicherer“, ergänzt Guido Meitler von Puky.

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