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Auf drei Feuerrädern Richtung Zukunft – Kurzversion
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Donnerstag, 15. Oktober 2015

*** Bitte beachten Sie: Dieser Artikel ist zwei Jahre alt oder älter. Wir haben ihn nicht gelöscht, weil Inhalte wie Tipps, Hintergründe und Technisches noch immer gültig sind. Ansprechpartner, Produkte und Preise können sich aber zwischenzeitlich geändert haben. Für ein Update rufen Sie uns bitte an! ***

Redakteur H. David Koßmann hat einen Selbstversuch mit einem Liegedreirad unternommen, der zu einer Anwendungsstudie über elektrifizierte Individualmobilität geriet.

(Anmerkung: Der pressedienst-fahrrad stellt auch eine Langversion dieses Artikels zur Verfügung.)

[pd‑f/hdk] Es war der Bericht eines britischen Extremreisenden, den ich übersetzen durfte: Inspiriert von seiner Reise mit einem Liegedreirad vom pfälzischen Germersheim ins heimische Süd-Wales, wollte ich mindestens eine größere Tagestour auf solch einem Gefährt erleben.

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Vorkenntnisse und Vorbereitung

Ein Testrad in Aussicht, ging es an die Details. An einem Tag auf dem Fahrrad dürfen’s bei mir 150 Kilometer auf Asphalt schon mal werden: so wie zwischen meinem Wohn- und Heimatort. Ziel erfasst! Mit dem Dreirad müssten meine Beine dafür viel üben, wurde mir prophezeit – komplett anders sei die körperliche Belastung. Grundsätzlich radle man aber komfortabler und mit „Panoramablick“. Die tiefe Position wiederum sei zwar im Straßenverkehr ungewohnt, aerodynamisch jedoch günstiger.
Das Testrad entpuppt sich als das volle Programm: ein „Scorpion“ von HP Velotechnik mit Vollfederung, faltbarem Rahmen und Komplettausstattung. Außerdem wird es mir als S-Pedelec mit Unterstützung bis 45 km/h angeboten. Der Bolide komme direkt mit zwei Akkus und dem „Streamer“, einer transparenten Windschutzscheibe aus Kunststoff. Klingt nach viel – ist es auch. Alles in allem wiegt der Scorpion so 35 kg, misst etwa 80 cm in der Breite und knapp 2,30 m in der Länge! Über 8.000 Euro stehen auf dem Lieferschein.

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Platz nehmen

Als das Rad ankommt, dreht der Oktober uns wuchtig seinen nasskalten Rücken zu. Elf Grad, dunkelgrau, Dauerregen! Dem monströsen Karton entnommen, ist der Scorpion im Nu in fahrfertigen Zustand versetzt und trotz strömendem Regen siegt die Neugier: raus!
Schnell auf- oder besser „ein“-steigen geht nicht, der Streamer ist im Weg. Reinklettern, mit zwei Handgriffen die Sitzlänge angepasst, Motor an und reintreten … Heidewitzka! Überwältigt von der Beschleunigung sehe ich, wie die Kette – ratsch! – meine Hose frisst. Kurzer Bremstest, das Hinterrad blockiert schnell und lässt das Heck ausbrechen, die Vorderräder zeigen sich unbeeindruckt von der Nässe. An der Hauptstraße warte ich den Verkehr ab, trete kräftig an – und vergesse Hose und Regen. Der Scorpion ist definitiv giftig! Nachdem in der ersten Kurve das innere Vorderrad und mein Puls kurz in die Höhe steigen, lehne ich mich jauchzend mit meinem ganzen Gewicht in die zweite …

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Tief (f)liegen auf den täglichen Wegen

Vieles, was man als Radfahrer für selbstverständlich hält, erfordert mit einem S‑Pedelec ein Umdenken: Innerorts darf man nicht auf den Radweg. Ein Radhelm ist Pflicht. Führerschein und Versicherungspapiere sind mitzuführen. Während man das Fahrrad schnell mal den Bordstein hochlupft oder absteigt und schiebt, ist man mit dem Liegedreirad auf abgesenkte Bordsteine angewiesen – plötzlich verstehe ich Rollstuhlfahrer.

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Im zweiten Eindruck ist die Nähe zum Boden bemerkenswert. Schlaglöcher werden zu Landmarken. Ihnen auszuweichen, erhöht den Platzbedarf. Hat man die Kurvendynamik des Geschosses allerdings einmal verinnerlicht und kann das kurveninnere Vorderrad nur Millimeter neben die Fahrbahnbegrenzung „setzen“, steigen die Mundwinkel.
Ein anderes Phänomen irritiert zunächst: Auf belaubten oder losen Wegen raschelt es, als ob mir jemand folgte – angesichts der Tränen treibenden Geschwindigkeit schier unmöglich. Trotzdem drehe ich mich oft um oder inspiziere den Rückspiegel. Letzterer ist übrigens unabdingbar, denn der Schulterblick gestaltet sich liegend schwierig.
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Da sich die Griffe beim Scorpion direkt neben den Hüftknochen befinden, schwitzt man schnell unter den Armen. Meine erklärte „Liegeradjacke“ hat deshalb dort Lüftungsreißverschlüsse. Die Hosenbeine dagegen dichtet man besser mit Klettbändern ab – wegen des Fahrtwinds und der Kette. Im Regen wünsche ich mir zudem wasserdichte Handschuhe, denn selbst die üppigen Schutzbleche schützen die direkt dahinter greifenden Hände kaum.

Alltagsfazit: Unterwegs im nicht existenten Zwischennetz

Bereits im radfahrerfreundlichen Göttingen dämmert mir, dass der Turbo-Scorpion eines Wegenetzes bedarf, das schlicht noch nicht existiert. Einige Male muss ich überlegen, wie weiter. Als geübter Radfahrer verinnerlicht man zwar Schleichwege und Abkürzungen, aber all die kleinen Hindernisse und Umwege machen das S‑Pedelec und das Liegedreirad konzeptionell sperrig. „Mein“ Scorpion profitiert allerdings auch von den Vorteilen beider Gattungen, und hat man Route und Denken geklärt, macht das Fahren große Freude. Als Pendelfahrzeug etwa, mit optimiertem Weg, würde ich das Rad gerne nutzen.

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Zwei Akkus – Tagesausflüge

Auf ersten kleineren Touren (ohne Streamer) achte ich auf Details, etwa den wiederholten Impuls, einen Gurt anlegen zu wollen. Ungewohnt laut ist es: Das Abrollgeräusch der Räder, das Klackern beim Gangwechsel, der leicht surrende Motor und jede Menge Fahrtwind sorgen für Kulisse. Selbst mit nur einer Hand lässt der Scorpion sich gut lenken. Freihändig rollen funktioniert ebenfalls – bis ich anfange zu pedalieren.
Kurbeln ohne Strom klappt auch mit einem E‑Trike, wird

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bergauf allerdings mühsam. Daher lasse ich im Display stets die verbleibende Reichweite anzeigen. In der „Doppelherz“-Ausstattung des Rads sind zwei Akkus verbaut, rechts der aktive, links die Reserve. Auf einer Tour zur Weser mit mittlerer Unterstützung ist der erste Akku nach 35 Kilometern leer. „Bis zu 130 km“ Reichweite gibt der Hersteller an, mit hoher Zuladung und den Hügeln meiner Wahlheimat muss ich davon deutlich Kilometer abziehen. Allerdings setzt HP Velotechnik inzwischen leistungsstärkere Akkus ein als bei meinem Testrad.
Jetzt mal ein Versuch auf Höchstgeschwindigkeit: Auf einer steilen Abfahrt klicke ich einen Fuß aus dem Pedal und lege mich flach hin. Mehr als 60 km/h werdenʼs nicht. Mit dem Renner rolle ich hier gute 70. Neben dem Rollwiderstand dreier robust bereifter Räder bremst ein Schutzmechanismus für den Motor, erfahre ich später.

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Vier Akkus – Stromspiele auf großer Tour

Bleibt die Königsetappe in meine Heimatstadt, gute 150 km einfacher Weg. Am einen Tag hin, Akkus laden und am nächsten Tag zurück. Zwei zusätzliche Akkus für den Parforceritt bringen das Gesamtgewicht ans zulässige Maximum und den Wert des Testmobils in die Nähe der Zehntausend-Euro-Marke.
Mittlerweile ist es Frühling und entsprechend mild. Dank Rückenwind komme ich schon auf Unterstützungsstufe 2 mit knapp 40 Stundenkilometern gut voran. Im Leinetal flussaufwärts lässt es sich leicht an die StVO halten. Von der Leine an die Unstrut aber muss ich über einen Höhenzug, die Straße wäre ein deutlicher Umweg – also wider besseres Wissen auf den Waldweg. Der Hecknabenmotor hat gut zu tun: Kurz vor dem Gipfel blinkt eine Temperaturwarnung, die nach zehn Minuten Pause aber wieder verschwindet.
Das erste Drittel der Strecke liegt hinter mir. Tendenziell bergauf, habe ich dabei deutlich mehr als ein Drittel des „Tanks“ verbraucht. Nun fahre ich im verschlafenen Tal bergab und genieße das Go-Kart-Gefühl. Etwa 50 km lang bleibe ich anschließend am Fluss, der Tacho zeigt auch bei Stufe 1 selten unter 30 km/h. Ich begegne staunenden Reiseradlern, neugierigen Hunden und begeistert rufenden Kindern. Die sonst etwas zähe Gegend nördlich von Erfurt rauscht vorbei und ehe ich mich’s versehe, biege ich auf die Zielgerade ein – ein Hügel mit gut zwölf Prozent Steigung. Der letzte Akku-Balken blinkt, als ich die Handbremse ziehe: Punktlandung. Mir selbst geht es erstaunlich gut.

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Es ist 17 Uhr, bleiben 16 Stunden fürs Aufladen: vier Stunden Ladezeit pro Akku. Ich stelle mir den Wecker, um sie nachts auszutauschen. Ein zweites Ladegerät wäre schlau …
Für den Rückweg hab ich noch ein Ass im Ärmel: die Rekuperation des Nabenmotors, um bergab Energie zurückzugewinnen. Auf dem Hinweg hatte ich komplett auf diese Funktion verzichtet, heute brauche ich das Mehr an Strom: Es herrscht Gegenwind, außerdem variiere ich die Route – knapp 30 km mehr, dafür gänzlich gesetzestreu.
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Trotz Wind und Umweg brauche ich kaum länger und am Ende sogar weniger Strom. Natürlich macht sich im Gegenwind der Streamer bezahlt – wie übrigens auch bei einer erneuten Jagd nach der Höchstgeschwindigkeit: gut 84 km/h auf einer Abfahrt ohne Rekuperation!
Wieder zuhause, kommen mir die zwei Tage wie ein Interkontinentalflug vor. 340 Kilometer und doch war ich kaum weg.

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Ein Ding des Himmels

Das hat alles viel mit Himmel zu tun. Mit weit nach hinten rotiertem Oberkörper empfange ich das Kommende sozusagen mit offenen Armen. Erstmals fallen mir Vögel auf, die mich, hoch oben, ganz schön weit begleiten. Finden die das Fahrzeug kurios oder bemerke ich sie sonst nicht? In Pausen bleibe ich im Rad liegen und sehe den Wolken oder dem Wind in den Bäumen zu. Welch großen Teil des Sichtfelds auf dem normalen Fahrrad die Straße einnimmt! Aufrecht radelnd biete ich dem Wind die Stirn und stemme meine Schultern im Wiegetritt gegen das Wetter. Liegend habe ich das Gefühl von mehr Licht im Blick, das Fahren ist weniger Kampf, es fühlt sich gelassener und offener an.

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