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Die Tour Divide gilt als das härteste Mountainbikerennen der Welt. Über 4.418 zermürbende Kilometer vom kanadischen Banff nach Antelope Wells an der US-Mexikanischen Grenze. Gunnar Fehlau war 2013 dabei und erfuhr dabei seine eigenen Grenzen.
„Wie viel Glück hat man eigentlich verdient?“
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Das frage ich mich, als ich den zweiten Schuh ins Pedal einklinke. Ich rolle vom Parkplatz Spray River West am Südrand von Banff. Die nächsten 24 Tage sind meine. Vor mir liegen 4.418 Kilometer reinsten Abenteuers. Ich starte zur Tour Divide, der vielleicht härtesten Prüfung, der sich Tourenmountainbiker stellen können. Über Dirtroads geht es südwärts durch die kanadischen Bundesstaaten Alberta und British Columbia und durch die Vereinigten Staaten: Montana, Idaho, Wyoming, Colorado und New Mexico. Immer entlang der kontinentalen Wasserscheide („Great Divide“). Ich werde sie 30mal kreuzen. Der höchste Punkt liegt auf 3.630 Metern über Null, insgesamt drücke ich mir 61.000 Höhenmeter in die Beine. TransAlp, TransNorway, Helibiking, Grenzsteintrophy und die vielen Marathons: Das waren alles nur Appetithäppchen, verglichen mit diesem Festmahl. Es wird das größte Abenteuer meines Bikerlebens werden, keine Frage. Die ersten Meter fallen den Beinen leicht, aber dem Gemüt schwer: Was wird mich erwarten? Werde ich Bergen, Bären, Gewittern, Schnee, Kälte, Durst und Pannen trotzen können? Mein Bauch spielt verrückt. In der einen Sekunde habe ich Hunger, dann fühle ich mich pappsatt, Brechreiz folgt auf Darmgerumpel. Ich habe eine Überdosis Abenteuervorfreude im Blut. Ich trampele sie locker bei 200 Watt heraus und lege die ersten Meilen zurück.
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Es ist acht Uhr am 7. Juni 2013, die Sonne ist noch etwas schwach auf der Brust, kaum 5 °C zeigt das Thermometer an. Dennoch ist mir wohlig warm. Die Welt gehört mir, und ich schnappe mir den schönsten Teil: 140 Meilen kanadische Wildnis. 13 Stunden später liege ich zufrieden und müde gleichermaßen in einem Motelzimmer in Sparwood. Ein seliger Tag geht zu Ende.
Von Einsamkeit und Bären kaum eine Spur
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Seit fünf Stunden sitze ich auf dem Rad. Sparwood habe ich kurz vor fünf Uhr morgens verlassen. Mehr als 110 Meilen liegen vor mir, bevor ich an der Grenze zu den Vereinigten Staaten wieder auf die Zivilisation treffen werde. Dazwischen drei Pässe, ein Dutzend Flussdurchquerungen, eine Steilhangtragepassage und reichlich Chancen, auf Bären zu treffen. Das Flathead Valley ist das letzte unbesiedelte Tal in Südkanada und weist einigen Reiseführern zufolge die höchste Bärendichte der Welt auf. Im Frühjahr hatte ich noch versucht, mich im Bärenpark Worbis an die wilden Bären zu gewöhnen; ein Starkstromzaun half allerdings dabei. Nun pedaliere ich in Schrittgeschwindigkeit den Cabin Pass hinauf. Obwohl ich locker trete, rast mein Herz und rutscht mir in die Hose. Jedes Knacken im Wald und jeder Zweig, der sich im Wind wiegt, lässt mich aufschrecken. Das Bärenspray habe ich bereits vor Stunden entsichert, als ich von der Straße in den Wald abbog, es steckt griffbereit in der rechten Trikottasche.
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Winterwitterung bestimmt Sommertempo
Die Tour Divide ist ein Einzelzeitfahren. Wie schnell man unterwegs ist, hängt nicht alleine von Beinkraft, Streckenkenntnis und Cleverness ab, nein, auch die Witterung spielt eine entscheidende Rolle. Ähnlich wie in den Alpen, wo im Juni längst nicht alle Pässe schneefrei sind, verhält es sich mit den Rocky Mountains. Deshalb prüfe ich seit Mitte Mai beinahe täglich die Schneelagen der berüchtigtsten Pässe entlang der Tour Divide. Alle Zeichen stehen auf einen guten Jahrgang. Zwar setzte der Frühling in Kanada erst sehr spät ein, aber dafür gab es im Winter nur sehr wenig Schnee. Das beruhigt, denn vor den Schiebepassagen im Tiefschnee habe ich gehörigen Respekt und denke mit Schrecken an das Jahr 2011, als eine Vielzahl der Pässe umfahren werden musste.
Die sogenannten „Detours“ (Umleitungen) legt Matthew Lee fest. Er hat die Tour Divide 2005 ins Leben gerufen und sechsmal erfolgreich bestritten. Lee hat das Self-Support-Regelwerk der Tour Divide verfasst und entscheidet, welche Witterungsverhältnisse den TD-Fahrern zuzumuten sind. Lee ist – ganz im Geiste des „härtesten Rennens der Welt“ – nicht zimperlich. 2011 galt der Red Meadow Lake (auf 1.676 Metern) mit einer Schneehöhe von über vier Metern noch als zumutbar. Das bedeutete für die Fahrer eine Zehn-Meilen-Wanderung durch Tiefschnee.
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Mich begrüßt der Red Meadow Lake jetzt mit strahlend blauem Himmel. Die Forststraße lässt sich angenehm kurbeln. Doch die Temperatur sinkt mit jedem Meter, den ich klettere. Mir schwant, dass ich wohl doch erstmals durch Schnee stapfen muss. Immer mehr Schneeflecken finden sich unter Bäumen und im Schatten. Nach einer spitzen Kehre ist es soweit. Eine knapp 30 cm hohe Schneeschicht zwingt mich zum Absteigen. Etwa zwei Kilometer weit zerre ich mein Rad durch den Schnee. Der ist bereits sehr pappig, schwer und nass. In wenigen Tagen wird der Pass gänzlich frei sein. Eine Woche nach mir starten knapp 120 Biker gemeinsam beim sogenannten „Great Depart“. Sie werden den Red Meadow barrierefrei bewältigen können. Ich versinke einstweilen mal knietief im Pappschnee, um beim nächsten Schritt auf Eis wegzurutschen. Einige Male verliere ich das Gleichgewicht – und verdrehe mir das rechte Knie. Schließlich wird aus dem Abstieg wieder eine Abfahrt und ich hämmere wie berauscht die Dirtroad hinab Richtung Whitefish. Sie windet sich herrlich den Hang entlang. Immer wieder weite Kurven und kleine Gegenhänge. Die neun Kilo Ausrüstung und mühsam antrainierter Andruck schieben mich hinüber. Eine feine Achterbahnfahrt! Mein Fahrspaß-Appetit ist erst einmal gestillt. Bleibt der echte Hunger – allmählich bekomme ich eine Ahnung, warum der Slogan zur Route „eat, sleep, ride“ lautet.
So wenig wie nötig
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Eine erfolgreiche Tour Divide ist nicht nur eine Frage der Fitness, sondern auch eine der Ausrüstung. Besonders viel Zeit habe ich mit der Suche nach der idealen Schaltung, dem besten Licht und den besten Reifen verbracht. Meine Entscheidungen haben sich auch weit über die Tour Divide hinaus als klug heraus gestellt. So sind die elf Gänge der XX1 Gruppe von Sram ideal, um einen unkomplizierten Antrieb zu haben, der wartungsarm und langlebig ist. Bergauf habe ich keinen Gang vermisst, und bergab ist es auf der Tour Divide wie immer beim Mountainbiken: Nicht die Technik des Rades, sondern die Fahrtechnik des Fahrers entscheidet. Wer kann, der kann, wer nicht kann, der kann nicht!
Die Racing Ralph-Reifen von Schwalbe in 2.25“ Breite, schlauchlos mit Dichtmilch gefahren erwiesen sich als gleichermaßen zügig wie traktionsstark für das Geläuf der Tour Divide. Während in den ersten Jahren der Tour die meisten Fahrer noch mit Batteriebeleuchtung unterwegs waren, sind heute immer mehr Racer mit Dynamobeleuchtung auf Tour. Ich wählte einen SON-Dynamo und kombinierte diesen mit einem LED-Rücklicht und Luxos-Scheinwerfer mit USB-Buchse zum Laden von Handy & Co. aus dem Hause Busch & Müller. Die Kombination präsentierte sich zuverlässig und äußerst hell: Weder auf nächtlichen Trails noch bei morgendlichen Stadtdurchquerungen mangelt es an Helligkeit.
Mein Rad inklusive aller Ausrüstung (auch Handy, Kamera und Geld, aber ohne Getränke/Essen) wog knapp 19,5 Kilogramm; die Räder der Spitzenfahrer wiegen unter 15 kg. Mein komplettes Setup der Tour Divide ist noch heute bei Overnighter-Touren im Einsatz, lediglich ergänzt um ein Kochset.
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Haltungsnot
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Es ist 18 Uhr, gerade habe ich in der Holland Lake Lodge zehn Toast-Sandwiches verdrückt. Jetzt nehme ich den berüchtigten Richmond Peak Pass in Angriff. Der schmale Singletrack zur Passhöhe ist bei TD-Fahrern gefürchtet. Denn auf der Schattenseite des Berges sammelt sich der Schnee geradezu in der Wegsicke, die sich entlang des 45-Grad-Schräghanges allmählich auf 2.011 Meter schraubt. Ein verrückter Anblick: Der Hang ist schneefrei, aber die Wegfurche ist randvoll mit Schnee. Über eine Meile schiebe und zerre ich mein Rad der Passhöhe entgegen. Ein gefährlicher Balanceakt. Der Pfad ist von kleinen Büschen und umgefallenen Bäumen garniert, rechts steigt der Hang steil an und links geht es einige Hundert Fuß im 45-Grad-Winkel abwärts. Der Schnee wechselt seine Konsistenz willkürlich. Mal ist er pappig nass, mal verstecken sich spiegelglatte Eisflächen unter lieblichen pulverigen Schneeflocken. Jeder Schritt ist ein Schritt ins Ungewisse. Und mein rechtes Knie jault. Unwillkürlich versuche ich dem Schmerz mit skurrilen Fußhaltungen, Humpeln und Kurzschritten auszuweichen. Gleichzeitig verlangt diese alpine Steigeinlage volle Aufmerksamkeit. Ein falscher Schritt und ich purzle den Hang hinab. Zum ersten Mal auf der Tour ist mein Bike ein bockiger Esel. Von der Laufruhe eines Twentyniners ist nichts zu spüren. Das Vorderrad tänzelt über Schnee und Eis. Mal steuert es in den Anstieg, dann zappelt es dem Abgrund entgegen. Ich zerre am Lenker, rutsche mit dem linken Fuß weg und gerate ins Straucheln. Tief aus dem Rückenmark kommt ein Reflex: Mein rechtes Bein setzt zum großen Ausfallschritt an. Mit Schwung wandern meine Körpermasse und die Last des Rades, das ich mit Schraubzwingen-Händen an Sattel und Lenker halte, auf den rechten Fuß. Wenn ich jetzt kippe, dann wenigstens in den Berg und nicht gen Tal! Die Gefahr scheint gebannt. Doch noch bin ich nicht im Gleichgewicht. Plötzlich verliert mein rechter Fuß seinen Halt. Ich höre die Schuhplatte übers Eis kratzen. Der Körper schiebt weiter voran, der Fuß schliddert nach rechts. Im Knie kollidieren die unterschiedlichen Bewegungsvektoren. Ich schreie laut auf in der Stille der Bergwelt. Kleine Drehung, große Wendung: Es gibt Momente im Leben, in denen Erlebnis und Ergebnis völlig synchron laufen. Noch während ich vom Unterbewusstsein gesteuert aufschreie, glüht der Prozessor im Bewusstsein: Diese Drehung ist der Knackpunkt deiner Tour Divide! Bevor mein Schrei vom Sunday Mountain zurückhallt, ist meine Tour Divide zu Ende. Ab jetzt rolle ich meinen Divide-Traum zum Schmerz-Schafott.
Im Paradies wohnen 71 Menschen
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Auf der Abfahrt vom Pass hatte ich die Abzweigung nach „Seeley Lake“ verpasst und damit die Chance auf ein bequemes Bett und Eis für mein Knie. Stattdessen rolle ich meinen Schlafsack kurzerhand an einer Weggabelung aus. Die ersehnten Pommes mit Cheeseburger bleiben Luftschlösser, zwischen den Zähnen kleben die letzten Krümel eines Cliffbars. Besser als nichts! Aber nicht viel besser. Die Nacht ist kurz, kalt, schmerzhaft und furchteinflößend. Es raschelt so sonderbar in den Büschen.
Seit dem ersten Verdreher auf dem Red Meadow Lake-Pass konnte ich zwar kaum mehr laufen, aber das Pedalieren funktionierte noch bestens. Nun schmerzt das Knie bei jeder Umdrehung. Um kurz nach sechs schleppe ich mich eine Dirtroad südwärts Richtung Ovando. Jede Kurbelumdrehung bedeutet Nadelstiche im Knie. Nur überschattet von einem unglaublichen Hunger und Appetit auf heißen Kaffee. Ovando hat 71 Einwohner und zwei Cafés. Und beide haben bereits geöffnet. Kaffeeduft betört meine Sinne. Wenige Minuten später stehen Pancakes, ein Omelett und ein riesiger Pott Kaffee vor mir. Erst einmal bin ich der glücklichste Mensch der Welt und genieße die Morgensonne und die Kalorien. Der Hunger geht, der Schmerz bleibt. Zum ersten Mal seit fünf Jahren werfe ich zwei Schmerztabletten ein. „Vitamin I“, wie Ibuprofen in der Ultra-Sport-Szene auch genannt wird. Eine Stunde später rolle ich wieder aus Ovando heraus.
Gefährliche Filterfunktion
Das Vitamin I filtert die Schmerzspitzen aus meiner Wahrnehmung heraus und so nehme ich den ersten echten Pass des Tages („Huckleberry Pass“) in Angriff. Bereits auf halber Strecke zur Passhöhe lässt die Wirkung der Tabletten nach. Ich lege nach, der Schmerz lässt nach – „Herzlich willkommen in der Rüstungsspirale“, denke ich mir und pedaliere mit kaputtem Knie und rissiger Moral bis zur nächsten Stadt, Lincoln. Hier gibt es Apotheken und Ärzte. Eigentlich kann man mir im Medical-Center ohne Termin nicht helfen, doch als der Arzthelfer erfährt, dass ich Deutscher bin, legt er mit einer spontanen medizinischen Beratung los. Schließlich sei seine Oma Deutsche gewesen, hätte den besten Kuchen der Welt gebacken und stets vom Schwarzwald geschwärmt. Es hätte ihr kaum gefallen, ihren Landsmann ohne Hilfe wegzuschicken. Aus meinen Beschreibungen, meinem Körpergewicht, den im Ort verfügbaren Schmerzmitteln und ein paar internen Rückfragen entsteht binnen weniger Minuten ein Medikamentenplan. „Wenn dein Magen diesen Mix mitmacht, kannst du damit fahren“, mein John und ergänzt „in jedem Fall aber bis Helena“. Die Hauptstadt Montanas liegt knapp 65 Meilen und drei weitere Pässe entfernt.
Ich kombiniere nun zwei Schmerzmittel, die ich abwechselnd alle 90 Minuten einnehme. Während sich in Ovando mit dem Abklingen der Schmerzen auch meine Stimmung aufgelockert hatte, wird mir unter diesem Pillencocktail zunehmend mulmig. Die Anfahrt zur ersten Continental Divide-Überquerung meiner Tour Divide wird steiler. Ich trete rein. Mein SRM-Computer mit Leistungsmessung schnellt auf über 300 Watt. Über Minuten lange ich ordentlich rein. Mein Puls steigt, mein Mund wird trocken. Alle Anzeichen stehen auf Leistung. Einzig meine Beine geben keine Signale. Ich spüre keinen Druck, kein Ziehen, kein Übersäuern. Die Schmerzmittel nehmen es mit ihrer Filterfunktion sehr genau, keine Schmerzsignale erreichen mein Bewusstsein. Das Geläuf wird wieder flacher und einfacher und mir wird klar, dass ich hier gerade einen Drogentrip fahre. Topografie und Leistung sind von meiner Wahrnehmung entkoppelt. Ich habe ein Gefühl der Unverletzbarkeit. Keine Steigung kann mir mehr etwas anhaben. So ähnlich müssen sich die „Großen“ im Radsport bei den Schlachten in den Bergen während der dunkelsten Epoche des Radsports gefühlt haben. Im gleichen Moment spricht das gute Engelchen auf der Schulter zu mir, ich solle doch nicht glauben, dass man mit einem solchen Cocktail ernsthaft fast 2.000 weitere Meilen biken könne. Einen Sinn für die Natur habe ich nicht mehr, das obligatorische Pass-Foto am Schild vergesse ich ebenso wie regelmäßiges Essen. Das ist mir irgendwie gleichgültig. Rollt doch alles gut!
Morgenröte
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Kurz vor einem heftigen Regenschauer und kurz nach acht erreiche ich Helena. Ich checke im Hotel ein und besorge mir einen Termin im Krankenhaus. Kaum 15 Stunden später habe ich eine Kernspintomografie meines rechten Knies, drei Arztgespräche und einen Besuch bei Don Harris, einem Physiotherapeuten und Bike-Fitter, also einem Spezialisten für Radsport-Ergonomie, hinter mir. Sein Fazit: Die Bänder im Knie sind mächtig gestresst, es besteht keine Gefahr für dauerhafte Verletzungen, aber die Schmerzen werden weiter eskalieren. „Solange du die Schmerzen bändigen kannst, kannst du fahren.“
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Er empfiehlt mir einen ruhigen Tag einzulegen und warnt mich eindringlich vor den Nebenwirkungen der Schmerzmittel. „Wenn du Blut ausscheidest, dann ist das Spaß endgültig vorbei, dann geht es nicht mehr ums Knie, dann geht es um den Magen und andere Organe und du musst die Mittel sofort absetzen und aufhören.“ Er gibt mir einen „Alles-ist-möglich-du-musst-es-nur-wirklich-wollen“-Klopfer auf die Schulter und entlässt mich auf den Interstate 15 Richtung Butte. Ich verlasse die offizielle Great Divide Mountain Bike Route der Tour Divide und bin damit disqualifiziert. Es sind 67 Meilen bis Butte, die werden zur tagesfüllenden Angelegenheit. Mein Fünfstufenplan fürs Hotel liest sich wie folgt: Duschen, Pizza, Bier, Eis fürs Knie und schlafen! Ich komme nicht recht zur Ruhe und gegen drei Uhr tapse ich zur Toilette: Farbcode „rot“.
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Juni 2014
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Die Entscheidung zum Abbruch in Butte war relativ einfach zu fällen gewesen, da es eindeutig keine Alternative gab. Ich hatte meine Grenzen erreicht, nicht jedoch die Grenze in Antilope Wells. Damit war das Abenteuer Tour Divide für mich jedoch noch nicht vorbei, schließlich erlebte ich eine unglaubliche Anteilnahme von Freunden, Verwandten, Bekannten und teils „Wildfremden“. Sie zeigte mir einmal mehr, dass man eigentlich nie alleine ist. Und doch hatte die Anteilnahme auch einen bitteren Beigeschmack, der sich immer wieder auf zwei Arten ins Gespräch einfügte. Entweder suggestiv oder als Frage: „Nächstes Jahr ist dein Knie sicher wieder fit“ – oder „Und, wirst du die Tour Divide nochmal angehen?“
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Nachdem ich fast 20 Jahre im Radsport mein Heil in der Distanz suchte, stets überzeugt, „das da noch mehr ginge“ und die Frage lautete „Wie viele Kilometer braucht man, um glücklich zu sein“, hat dies aber inzwischen eine totale Kehrtwendung erfahren: Heute mache ich mir Gedanken, wie wenige Kilometer zum Glück reichen. Erst vor wenigen Tagen war ich mit meinem guten Freund Walter und meinen beiden Söhnen unterwegs, wir brachten es binnen zweier Tage auf kaum 30 Kilometer.
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Ich habe keinen der fehlenden 4.380 Kilometer der Tour Divide vermisst und dafür das Lagerfeuer genossen. Ich bin anscheinend im post-competetiven Abschnitt meines Radsportlerlebens angekommen. Spaß ganz ohne Finisher-Foto! Die Tour Divide werde ich nicht mehr fahren, wohl aber vielleicht auf der Great Divide Mountainbike Route eine Radtour machen …
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Die Strecke: Die „Great Divide Mountain Bike Route“ führt über 4.418 Kilometer vom kanadischen Banff nach Antelope Wells an der Grenze der USA zu Mexiko. Insgesamt sind 61.000 Höhenmeter zu bewältigen, der höchste Punkt (Indiana Pass in Colorado) befindet sich auf 3.630 Metern Höhe. Die Route wurde 1997 als kartografierte Strecke mit 50 Etappen von der US-amerikanischen Adventure Cycling Association (ACA) vorgestellt. Der Großteil der Strecke führt über Dirtroads, Asphalt macht etwa zehn Prozent aus und der Singletrack-Anteil liegt bei kaum fünf Prozent. Die Qualität der Dirtroads reicht von „Forstautobahn“ bis „impossible when wet“, je nach Witterung und Schneesituation müssen also erhebliche Lauf-/Schiebe-/Tragepassagen eingeplant werden.
Die Idee: Wer am schnellsten an der mexikanischen Grenze ist, hat gewonnen. Die Tour Divide ist ein Einzelzeitfahren und wird als „Self Support Race“ ausgetragen: Selbstversorgung ist das oberste Gebot; Windschattenfahren und jede Art fremder Hilfe sind untersagt. Es gilt die Regel „nur kommerzieller Service an kommerziellen Plätzen“; private Unterstützung ist nur in Form von „Trail Magic“ (spontan und wenn sie in ihrer Art und Weise jedem Fahrer zuteil kommen könnte) zulässig. Alle Ausrüstung muss auf dem Rad mitgeführt oder unterwegs beschafft werden. Die offizielle Bestmarke liegt bei 15 Tagen, 16 Stunden und 14 Minuten (Durchschnittstagesleistung 282 km, aufgestellt von Jay Petervary 2012). Am zweiten Freitag im Juni erfolgt der „Grand Depart“, eine Art „individueller Massenstart“. 2013 starteten knapp 140 Biker zur Tour Divide, nur 82 erreichten das Ziel.
Die Ausrüstung: Die Mehrheit der TD-Fahrer setzt auf 29-Zoll-Hardtails, nicht selten mit einer starren Carbon-Gabel. Die Ausrüstung besteht aus warmer Kleidung, Regenzeug, Werkzeug, Ersatzteilen, Erste-Hilfe-Set, Bärenspray, Schlafsack, Isomatte, Biwaksack oder Minizelt, sowie GPS-Gerät und Kreditkarte. Verpackt wird die Ausrüstung in leichten Rahmen‑, Sattel- und Lenkertaschen. Die Räder der Minimalisten wiegen komplett mit aller Ausrüstung unter 15 kg.
Die An- und Abreise: Von Frankfurt aus wird Calgary von mehreren Fluglinien direkt angeflogen. Flüge kosten ab etwa 450 Euro. Der Bus-Shuttle nach Banff kostet ungefähr 50 CAD. Die Abreise ab Antelope Wells gestaltet sich komplizierter. Entweder man radelt etwa 80 Meilen nach Lordsburg oder man bucht einen kommerziellen Shuttle-Dienst. In Lordsburg gibt es Anbindung an das Amtrak- und Greyhound-Netz. Die nächstgelegenen Flughäfen sind Tucson und Phoenix in Arizona. Wer frühzeitig bucht, bekommt einen Gabelflug (Frankfurt-Calgary-Tucson-Houston-Frankfurt) für etwa 800 Euro. Achtung: Das Bike auf jeden Fall online voranmelden!
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