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Ein Rahmen, zehn Räder, eine Zeitreise
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Dienstag, 8. Juni 2021

*** Bitte beachten Sie: Dieser Artikel ist zwei Jahre alt oder älter. Wir haben ihn nicht gelöscht, weil Inhalte wie Tipps, Hintergründe und Technisches noch immer gültig sind. Ansprechpartner, Produkte und Preise können sich aber zwischenzeitlich geändert haben. Für ein Update rufen Sie uns bitte an! ***

(pd‑f/gf) Vielfalt schlägt Einfalt – das darf auch bei Fahrrädern gelebt werden. Aller Kritik über „neue Standards“ und zu viel Integration, die Umbauten am modernen Fahrrad entgegenstehen, zum Trotz, finden sich bemerkenswerte Beispiele für Fahrräder, die sich immer wieder an veränderte Anforderungen anpassen lassen. Der pressedienst-fahrrad hat seit rund sechs Jahren einen „Finder“-Rahmen des Reiseradherstellers Velotraum im Testpool. Dieser hat mittlerweile diverse Umbauten für unterschiedliche Anforderungen auf dem Buckel, wie eine Bilderstrecke als ein Blick auf die Fahrradweiterentwicklung der letzten sechs Jahre zeigt. Es muss also nicht immer ein neues Bike sein, es tut auch ein Umbau, um immer auf dem neuesten Stand zu sein.

1) Mit 22 Gängen und Wüstenstaub

Sommer 2015: Der Finder wurde vom Hersteller Velotraum als eine Kreuzung des Entdecker-Bikes „Pilger“ und der klassischen Velotraum-Reiseräder ersonnen. Ziel war es, ein in jeder Hinsicht unkompliziertes Reise- und Expeditionsrad auch für schlechte Pisten und Wege zu entwickeln. Wer beim Bikepacking mit Gepäck in steilerem Gelände unterwegs war, der stieß seinerzeit an die Übersetzungsgrenzen der Einfach-Mountainbike-Schaltungen mit elf Gängen. Deshalb erhielt unser Finder eine Zwei-mal-Elf-Schaltung, die reichlich leichte Gänge für Anstiege und hohe Übersetzungen für Abfahrten und Asphalt miteinander kombinierte. Leichte hydraulische Cross-Country-Bremsen und eine Carbon-Gabel ergänzten die Ausstattung. Die Auftaktreise auf Zypern brachte den Fahrer mächtig ins Schwitzen: Gegen Hitzestürme aus Afrika hilft auch keine Schaltung …

2) Getriebe für Grenzfahrt

Für das Jahr 2016 wollten wir den Finder fit für eine Tour entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze machen: Die drei Zoll breiten „G‑One“-Reifen von Schwalbe verbinden Breite und Leichtlauf, ideal für die berüchtigten Lochplatten des Kolonnenwegs der Grenzsoldaten. Eine Rohloff-Getriebenabe ersetzte die Kettenschaltung und erlaubte Schalten auch im Stand. Der Gates-Zahnriemen minimiert die Wartung und den Service unterwegs. Zwischenzeitlich hatte Ortlieb seine erste Bikepacking-Taschen-Kollektion auf den Markt gebracht. Auch diese unterzogen wir hier einem Test im Grenzbereich. Unser Fazit: Die Taschen sind wasserdicht, die Reifen mit Dichtmilch luftdicht und die Nabe öldicht; kurz: Fahrradtechnik hat mächtig Fortschritte gemacht.

3) Vereinfacht im Winter 2018

Für einen Winter-Overnighter wurde der Finder erneut umgebaut. Neue Technik will probiert sein und viel wichtiger noch für viele Kunden:innen: Sie soll auch bezahlbar sein. Insofern interessierten uns die neuen Zwölf-Gang-Kettenschaltungen ohne Umwerfer vorne, welche im Olympia-Jahr 2016 erstmals auf den Markt kamen und die ab 2017 mit der GX-Gruppe eine erstaunlich günstige Version boten. Flugs zum Produkttest die Getriebenabe und den Riemen ab, wieder eine Kettenschaltung drauf und schon ging es in den gefrorenen Hainich in Thüringen. Der Finder rollte gewohnt zuverlässig auch auf leicht verschneiten Pfaden und die zwölf Gänge überzeugten mit sattem Schaltgefühl.

4) Neue Farbe, altes Bremsmedium

So schön das Pink des Finders war, so polarisierend war die Farbe auch und wir hatten uns sattgesehen. So stand 2018 eine neue Pulverbeschichtung an. Wir wählten ein Orange, das mit den Farbtupfern der Bikepacking-Taschen von Ortlieb harmoniert und die Farbe der Bremsbelageinstellmuttern der mechanischen „Klamper“-Scheibenbremsen von Paul Components aufgreift. Dass diese Bremsen den Weg ans Rad fanden und nicht ein hydraulisches Pendant, das normalerweise an Mountainbikes verbreitet ist, hatte mit einer anstehenden Bikepacking-Tour in der Sierra Nevada zu tun: Je simpler die Technik ist, desto besser lässt sie sich im Zweifel direkt auf dem Trail reparieren. In diesem Punkt schlägt die mechanische Scheibenbremse die hydraulische. In Sachen Dosierbarkeit und schierer Bremskraft liegen hydraulische Modelle natürlich vorn. Leckerchen für Bikepacking-Nerds: Um die Klettverschlüsse am Rahmen auf ein Minimum zu reduzieren, haben wir die Rahmentasche an den Ösen für Zugführung und Flaschenhalter ins Rahmendreieck eingeschraubt und anschließend die Befestigung abgeschnitten. Das Einpassen und korrekte Platzieren der Löcher verzeiht keine Fehler und verzehrte fast zwei Stunden. Noch heute erfüllt diese nächtliche Fleißarbeit im Radkeller des Autors Herz mit Stolz.

5) Darf es ein bisschen mehr Traktion sein?

Für den Trip in Spaniens höchstes Gebirge bekam der Finder noch kurz vor der Abfahrt ein weiteres Update: Eine „Pike“-Federgabel von Rock Shox, die uns der Rennservice damals freundlicherweise auf 100 Millimeter Federweg reduziert hatte. Mittlerweile gibt es solche Pike-Modelle im regulären Verkauf. Der Umbau brachte am Vorderrad mehr Kontrolle, Traktion und Komfort – was eine gute Federgabel eben so macht! Auf den teils schroffen Wegen der Tour bewährte sich auch das Mehrgewicht der Federgabel gegenüber der starren Carbon-Gabel. Ebenfalls sehr nützlich in Sachen Komfort waren die „GA3“-Griffe von Ergon, die wir wenige Wochen vor der Tour montiert hatten. Ihre Flügel vergrößern die Kontaktfläche und verringern damit den punktuellen Druck an den Händen. Die 1,5‑Liter-Wasserflasche in der Unterrohrtasche mutierte zwischenzeitlich zum wichtigsten Ausrüstungsgegenstand: Auch wenn die Tage im Oktober in Südspanien kurz sind, über Mittag wird man am baumfreien Südhang gehörig ausgetrocknet.

6) Besser bremsen fürs perfekte Foto

Dass der Finder im Juni 2019 wieder auf die Strecke der Grenzsteintrophy gehen würde, hätten wir einen Monat zuvor nicht gedacht. Der Fotograf und Fahrradfan Carlos Fernandez Laser brauchte einen akkuraten Untersatz, um für das Walden-Magazin eine Gruppe Radfahrer zu begleiten. Wir versorgten das Rad mit hydraulischen Bremsen, denn als alter BMXer wünschte sich Laser eine bissige Verzögerung. Und weil ihm zügiges Fortkommen wichtig war, verpassten wir dem universellen Rad wieder die drei Zoll breiten „G‑One“-Reifen von Schwalbe. Im Tubeless-Betrieb mit Dichtmilch flitzen die Reifen über die Lochplatten, allerdings verlangen sie reichlich Fahrtechnik, wenn es feucht und matschig wird. Für BMXer kein Problem: Fahrer, Rad und Leica kamen sicher am Dreiländereck im Vogtland an.

7) Gravel-Biken in anderer Dimension

Wer das Gravel-Bike vom Rennrad aus denkt, dem/der kommt nicht zwingend in den Sinn, den Finder mit einem Rennlenker auszustatten. Radkategorien und Denkmuster sind dafür da, überwunden zu werden. So versahen wir im Herbst 2020 den Finder mit einer Elf-Gang-Rennrad-Schaltung samt hydraulischen Scheibenbremsen und dem Gravel-Lenker „Comp Ergomax“ von Ritchey. Vorübergehend drehte sich eine Kurbel mit Leistungsmessung von SRM im BSA-Tretlager und lieferte zuverlässig einen Einblick, wie leicht (oder eben anstrengend) sich ein solcher „Monstercrosser“ (Und da sind sie wieder, die Radkategorien, jede Nische hat ihren Namen …) auf unterschiedlichen Untergründen fährt. Rennlenker ist also keine Frage des Geländes, sondern der „Haltung“.

8) Die neue Einfachheit: Ein Riemen und ein Gang

Die Innovationsgeschwindigkeit der Fahrradbranche ist hoch und die Technisierung erreicht die kleinsten Details. Zudem etablieren sich immer wieder neue Produkte. Da kommt Sehnsucht nach Einfachheit und Ruhe auf. Diese wird in der Szene durch Singlespeed-Räder gestillt, also Räder ohne Gangschaltung. Reduziert wurde so auch unser Finder auf das Wesentliche und verlor allen „Firlefanz“ wie Schaltung, Federung oder Teleskop-Sattelstütze. Das polarisiert in der Fahrrad-Community und auch in der Redaktion des pd‑f: Glühende Anhänger und kopfschüttelnde Technikfreunde standen sich gegenüber. Das scheint unvereinbar. Daran konnte auch der Gates-Zahnriemen als Hightech-Komponente nichts ändern. Dieser ließ sich montieren, weil Stefan Stiener, Mastermind hinter der Firma Velotraum, den Rahmen mit Blick auf Reiseradler und Getriebenaben mit einer „Schleuse“ für Riemen versehen hat. Die einen liebten diesen Aggregatzustand des Finders, die anderen betrachteten dies als Frevel an Konzept und Idee des Rades.

9) Getriebemodernisierung mit Öl und Trigger

Frühjahr 2021: Der Riemen blieb, es kam aber wieder mit einer Schaltung versehen. Jedes Produkt trägt den Geist und die Standards seiner Entstehungsepoche in sich. Das erklärt, warum die Rohloff-Nabe aus den späten 1990er-Jahren auf Schnellspanner und Drehschalter ausgelegt ist. Als uns die Kindernay-Getriebenabe aus Norwegen in der Redaktion erreichte, waren wir sofort angetan: 14-Gang-Getriebe im geschlossenen Ölbad der Nabenhülse, Trigger-Schalthebel und Hydraulikleitung statt Bowdenzug. Am Finder nicht notwendig, aber zukunftstauglich: Die Kindernay ist rund um eine Steckachse konzipiert und – ein echter Leckerbissen – die „Swapcage“ genannte Technologie erlaubt einen Laufradwechsel unter Verwendung desselben Getriebes. Das sorgt für Flexibilität und spart viel Geld. Ergebnis: In seiner neunten Deutung überzeugt der Finder als reinrassiges Bikepacking-Mountainbike mit wartungsarmer technischer Vollausstattung.

10) Für alle: Beste Stangenware und Individualität ohne schmutzige Finger!

Zum Abschluss dieser Listung kommen wir zum Beginn zurück. Nicht jede:r hat die Lust und die Möglichkeiten, ein Rad ganz individuell selbst auf- und mehrmals jährlich umzubauen. Der Normalfall ist, dass Kund:innen nach reiflicher Überlegung und guter Beratung komplette Räder erwerben. Bei Velotraum bleibt dabei die Individualität nicht auf der Strecke: Einzelstückaufbau des Rads, die meisten Komponenten, deren Bemaßungen und Rahmenfarbe werden exakt auf Kund:innenwunsch abgestimmt. Preise starten bei 2.700 Euro, das Rahmenset kostet 980 Euro. Eine Kombination aus Rennlenker, Kindernay-Nabe, Gates-Zahnriemen und Federgabel könnte auch mal reizvoll sein. Unser Fazit: Für dieses Rad sind zehn Aufbauten noch lange nicht genug! Wir sind dann mal in der Werkstatt …

Anmerkung: Die meisten der benutzten Teile wurden dem pressedienst-fahrrad zu Testzwecken kostenlos zur Verfügung gestellt. Viele Umbauten im Alltag sind jedoch mit hohen Kosten verbunden und brauchen Fachwissen, Geschick und Sachverstand. Der Text dient als eine Inspiration, sich mit dem Thema Fahrrad weiter und tiefer zu beschäftigen.

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