Deutschland einig Fahrradland oder: Warum die neue Bundesregierung aufs Fahrrad setzen muss
Mittwoch, 25. September 2013
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Deutschland hat gewählt, eine neue Regierung steht jedoch noch nicht fest. Es bleibt also weiter spannend. Doch ganz gleich, welches politische Farbenspiel künftig Entscheidungen trifft, ein verkehrspolitisches Thema sollte weit oben auf der Agenda stehen: der Radverkehr. Der pressedienst-fahrrad zeigt, warum immer mehr Regierungen in Europa und weltweit auf Zweiräder setzen und die Stärkung des Radverkehrs auch für die Kanzlerin (oder den Kanzler?) alternativlos ist.
Alles spricht fürs Fahrrad
Mobilität ist trotz aller Digitalisierung weiterhin das Rückgrat unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Mit zunehmendem Verkehr stoßen die Infrastrukturen trotz intensivem Ausbau aber schon heute an ihre Grenzen und auch Umwelt- und Klimaziele fordern zum Handeln auf. Dies betrifft nicht nur den mobilen Verkehr, sondern auch besonders den stehenden Verkehr. Während die Bundesregierung zur Lösung der künftigen Probleme mit dem Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität – bislang mit mäßigem Erfolg – vor allem auf Elektroautos setzt, haben andere Länder längst das Fahrrad als umweltfreundliches, flächeneffizientes und preiswertes Verkehrsmittel erkannt und fördern den Radverkehr, wo immer es geht. Die sichtbaren und messbare Erfolge: bezahlbare Mobilität für alle, eine spürbare Verbesserung der Gesundheit, weniger Staus, weniger schädliche Emissionen und deutlich mehr Lebensqualität.
Im internationalen Vergleich ist Deutschland nur Mittelmaß
Herausforderung Urbanisierung
Insbesondere die zunehmende Urbanisierung und der demographische Wandel stellen Städte und Kommunen vor enorme Herausforderungen. Auch beim Verkehr. So werden laut Berechnungen der UNO im Jahr 2050 voraussichtlich 84 Prozent der Bevölkerung Europas in Städten leben. Für deutsche Metropolen wird ein Wachstum von zehn Prozent und mehr bis 2020 vorhergesagt. Um Städte, die heute vielfach am Autoverkehr buchstäblich zu ersticken drohen, für Unternehmen, junge qualifizierte Mitarbeiter und Familien attraktiv zu halten, ist ein Umdenken notwendig. Wie es funktionieren kann, zeigt zum Beispiel die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Die ungekrönte Fahrradmetropole mit einem Radverkehrsanteil von 36 Prozent hat im Verlauf des letzten Jahrzehnts ein lebens‑, wirtschafts- und tourismusfreundliches Umfeld geschaffen und setzt sich auch für die Zukunft hohe Ziele. So sollen bereits 2025 in der dann weltweit ersten CO2-neutralen Hauptstadt die Hälfte aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.
Gewinner der Mobilitätswende: das E‑Bike
Fit und leistungsfähig – mit dem Rad
Regelmäßige Bewegung hat einen entscheidenden Anteil an unserer Gesundheit. So empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 30 Minuten moderate Bewegung an fünf Tagen der Woche. Doch etwa 40–60 Prozent der EU-Bevölkerung erreichen diese Anforderungen nicht und gerade im Alter sinkt die körperliche Aktivität dramatisch weiter ab. Für entsprechend sinnvoll halten Sportmediziner deshalb die Integration von Bewegung in den Alltag, zum Beispiel beim täglichen Weg mit dem Fahrrad zur Arbeit, zum Einkaufen oder zur Ausbildungsstätte. Studien legen nahe, dass sich dabei nicht nur positive Auswirkungen auf die Gesundheit verbunden mit weniger Fehltagen ergeben, sondern auch eine Steigerung der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. Auch die Kosten in den Gesundheitssystemen können durch Bewegung auf dem Rad nachhaltig reduziert werden. Beispielsweise im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Mitauslöser für Herzinfarkte und Schlaganfälle und damit der Todesursache Nummer eins in Deutschland sind.
Immer wichtiger: Das Fahrrad als Tourismusfaktor
Rund 118 Millionen Euro kosten Erstellung und Unterhalt des fahrradtouristischen Wegenetzes pro Jahr. Eine lohnenswerte Investition, denn dem gegenüber stehen mittlerweile über 5,5 Milliarden Euro, die Radtouristen jährlich in Deutschland ausgeben. Oft vor allem in wirtschaftsschwachen Regionen, die dringend auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen sind – wie entlang der Flussradwege, zum Beispiel entlang der zuletzt vom Hochwasser betroffenen Gebiete an der Elbe. Immer beliebter werden auch Mountainbike- und E‑Bike-Touren in den Mittelgebirgen, die für wichtige zusätzlichen Einnahmen und Beschäftigung in der infrastrukturschwachen Region sorgen. So bestreiten fast 222.000 Menschen in Deutschland ihren Lebensunterhalt direkt oder auf der Grundlage des umweltfreundlichen Fahrradtourismus.
Bei der Mobilitätswende verliert die Regierung den Anschluss
Vor allem kann die Bundesregierung die Rahmenbedingungen verbessern: Bei Gesetzgebung, Sicherheit, Infrastruktur und Kommunikation. Während beispielsweise das dauerstaugeplagte Bundesland Nordrhein-Westfalen den Fuß- und Radverkehr mittlerweile gleichberechtigt neben ÖPNV und motorisierten Individualverkehr stellt, hinkt die Bundesregierung hinterher. Und während sich Hoteliers, Blumenhändler und Taxifahrer über einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent freuen, werden auf Fahrräder und E‑Bikes nach wie vor 19 Prozent erhoben. Die eigentliche Mobilitätswende kommt dagegen inzwischen von unten. Über alle Parteigrenzen hinweg schließen sich immer mehr Städte und Kommunen zu fahrradfreundlichen Arbeitsgemeinschaften (AGFS) zusammen, Münster befreit – wie das Vorbild Kopenhagen – im Winter zuerst die Radwege vom Schnee, erste Schnellradwege entstehen, Verkehrsverbünde integrieren Leihradsysteme in ihr Angebot und München feilt am Image der „Radlhauptstadt“. ÖPNV, (Elektro-)Autos, Sharing-Systeme, Fahrräder und E‑Bike sind längst keine Konkurrenten mehr, sondern Verbündete. Für eine bessere und umweltfreundlichere Mobilität und lebenswertere Städte. Es wird Zeit, dass sich diese Erkenntnis auch bei der Bundesregierung durchsetzt. Aber vielleicht war der Besuch der Kanzlerin auf einer Fahrradmesse ja ein Anfang.
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